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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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ungünstig war. Durch das hell erleuchtete seitliche Fenster drangen die Stimmen mehrerer Männer, die sich lebhaft unterhielten. Beaulieu war nicht alleine.
    Nach kurzem Abwägen entschied Pfeyfer sich zu warten. Er postierte sich genau neben dem Fenster, stellte den Mehlsack ab und gab vor, die Nähte zu überprüfen. Zugleich lauschte er aufmerksam, damit ihm kein Wort des Gesprächs im Inneren des Gebäudes entging. Die Wahrscheinlichkeit war denkbar gering, aber vielleicht kam Beaulieu ja auf den Mord an Friedrich Heinze zu sprechen.
    »Nur Geduld, Gentlemen«, hörte Pfeyfer ihn sagen. »Unsere Stunde ist nicht mehr fern.«
    »
C’est vrai,
das Warten fällt schwer, aber es macht den Sieg später noch süßer,
mes amis«,
erwiderte ein anderer, dessen Akzent auf eine Herkunft aus dem Süden Louisianas schließen ließ.
    Ein Dritter lachte auf und dröhnte reibeisenrau: »Sie sagen es, Duval. Aber den Sieg müssen wir uns auch erst einmal verdienen.«
    »Ich bitte Sie! Ein Gegner, der sich nicht zu wehren wagt, wer könnte da am Ausgang zweifeln?«, hielt Beaulieu entgegen. »Haben unsere Freunde in Charleston erst einmal den Kronprinzen als Geisel genommen, können wir in South Carolina einrücken, ohne Widerstand befürchten zu müssen. Dann heißt es, die Preußen ins Meer und die Nigger in Ketten. Der Triumph ist gewissermaßen schon jetzt unser, Gentlemen.«
    Pfeyfer musste sich auf die Zunge beißen; beinahe hätte er in einer Explosion von Rage aufgeschrien. Er presste die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer schmerzte, und zwang sich gewaltsam zum Schweigen. So infam war der Plan der Südstaatler, dass er es kaum glauben konnte. Doch Beaulieu war beteiligt. Und diesem Mann traute er jede noch so ungeheuerliche Niedertracht zu.
    Die Tür wurde aufgestoßen, jemand kam unter lautem Poltern in die Baracke gestürzt und rief aufgeregt aus: »Es ist soweit, Freunde! General Sibley hat das Telegramm erhalten! Morgen schlagen wir los!«
    Ein einziger Jubelruf erscholl aus sämtlichen Kehlen zugleich.
    Pfeyfer kroch ein eisiger Schauer den Rücken hinab.
    »Gentlemen, überbringen Sie diese exzellente Neuigkeit Ihren Kompanien«, verkündete Beaulieu , nachdem das Freudengeschrei sich gelegt hatte. »Doch zuvor lassen Sie uns noch das Glas erheben. Morgen früh um neun bricht das Regiment mit dem Zug nach Charleston auf. Und um ein Uhr werden wir feiern.«
    Pfeyfer hatte genug gehört. Er musste schleunigst auf die andere Seite des Savannah-Flusses gelangen und vom dortigen Grenzposten aus Friedrichsburg warnen. Seine Rache an Beaulieu , der Name von Heinzes Mörder, all das war jetzt ohne Bedeutung. Es ging um sein Land.
    Er ließ den Sack zurück und rannte durch das Lager. Seine Kleidung hatte er in der Nähe des Bahnhofs an einer sicheren Stelle zwischen Büschen und Steinen deponiert. Wenn er sich rasch genug umzog, konnte er noch den letzten Personenzug erwischen, der an diesem Abend über die Brücke fuhr.
    In seiner Hast warf er alle Vorsicht über Bord. Doch ein hastig auf das Lagertor zulaufender Sklave fiel auf. Der Wachposten sah ihn und verstellte ihm den Weg. »He, Nigger! Wo willst du hin?«, herrschte der Soldat ihn drohend an.
    »Ich muss – ich muss dringend etwas für meinen Master holen«, behauptete Pfeyfer atemlos und schickte sich an weiterzulaufen.
    Die Wache packte ihn am Arm. »Das holst du morgen, Boy. Ab in den Stall für die Nacht!« Der Soldat stieß ihn von sich.
    Pfeyfer strauchelte und stürzte rücklings zu Boden, so dass er sich wieder aus dem Dreck aufrappeln musste. Statt jedoch zurückzuweichen, baute er sich furchtlos vor der Wache auf und schnaubte feindselig.
    Die Aufsässigkeit wollte der Soldat ihm durch einen Schlag mit dem Gewehrkolben austreiben. Er holte aus, doch Pfeyfer war schneller. Durch das Anheben des Gewehrs gab sich sein Gegner eine Blöße. Er rammte der Wache, die nicht mit einer Attacke gerechnet hatte, seine Faust in die Magengrube. Dem Soldaten traten die Augen aus den Höhlen; er konnte nicht einmal aufschreien, sondern nur ein Keuchen herauswürgen, bevor er sich krampfartig zusammenkrümmte und nun selber zu Boden fiel.
    Pfeyfer kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern lief weiter, aus dem Lager hinaus, in Richtung der Bahngleise. Hinter sich hörte er Alarmrufe. Ein erster Schuss krachte. Dann noch einer und noch einer. Eines der Geschosse pfiff um Haaresbreite an seinem Ohr vorbei, er spürte den Luftzug.
    Wohin?
Seine Verfolger waren

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