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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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und niemand kommt an Bord, bis neue Anweisungen aus Washington eintreffen. Kann mir nur recht sein.«
    Er schnaubte ein ätzend höhnendes Lachen durch die zerfetzen Öffnungen, die einmal seine Nase waren. Daraufhin sah er auf seine Taschenuhr, die er mit aufgeklapptem Deckel auf den Tisch gelegt hatte. »Gleich drei Uhr«, sagte er. »Bleiben dieser Stadt noch einundzwanzig Stunden. So lange halte ich es ohne Schlaf aus. Und du auch, hoffe ich. Ich will, dass du mieser kleiner Wurstfresser den großen Knall miterlebst.«
    Täubrich erwiderte nichts. Er fragte sich, weshalb Hendricks mit der Explosion so lange warten wollte, anstatt das Schiff so bald wie möglich in die Luft zu jagen. Vor allem aber kämpfte er gegen seine Furcht an. Ihm war vor Angst speiübel.

Friedrichsburg
    Der Nachmittag wich bereits dem Abend, als Jeremiah Weaver die Nachricht erhielt, die er seit Langem ungeduldig herbeisehnte. Nie zuvor hatte ihn ein einziges Wort derart in Hochstimmung versetzt. Noch einmal las er das Telegramm, um ganz sicherzugehen, dass seine Augen ihm nicht nur vorgegaukelt hatten, was er unbedingt sehen wollte. Doch es war keine Einbildung. Die Botschaft lautete:
Caligula.
    Aufgekratzt vor Freude eilte der Verleger die Treppe hinab ins Vestibül seines Hauses und rief dabei lauthals nach Hut und Mantel. Er musste unverzüglich dafür sorgen, dass auch seine Kämpfer erfuhren, dass der große Tag endlich bevorstand. Wie er dem kommenden Morgen entgegenfieberte!
    Weaver riss dem atemlos herbeihetzenden Diener Zylinder und Paletot aus den Händen und stürmte aus der Tür ins Freie.
     
    David Levi faltete das Telegramm, das ihm gerade eben zugestellt worden war, wieder zusammen und verstaute es umsichtig in der Uhrentasche seiner Weste. »Caligula«, meinte er halblaut zu sich selbst. »Ausgerechnet. Gott der Gerechte, wer denkt sich eigentlich solche Codewörter aus?«
    Er ging durch das karg möblierte Zimmer hinüber zum Schreibtisch, auf dem eine Karte der Unterstadt ausgerollt lag, bestückt mit blauen und roten Holzklötzchen. Aus einer der Schubladen holte er seinen Revolver hervor und nahm auch gleich die Schachtel an sich, die fünfzig Patronen enthielt. Er würde sie bald benötigen.
    Beides legte er auf den Stuhl, über den er auch schon seine Uniform gehängt hatte, um alles am nächsten Morgen sofort griffbereit zu haben. Dann holte er den zivilen dunklen Gehrock aus dem Kleiderschrank. Die zwanzig Männer, die er persönlich für den alles entscheidenden Teil des Unternehmens ausgewählt hatte, wollte er umgehend selbst davon in Kenntnis setzen, dass es nunmehr ernst wurde. Die Würfel waren geworfen.
     
    Der Wein schmeckte ausgezeichnet. Das lag freilich weniger an dem Burgunder selbst, der von eher durchschnittlicher Güte war, sondern an Wenzel von Kolowraths ausgezeichneter Laune. In seiner gegenwärtigen Hochstimmung hätte ihm selbst ein säuerlicher Südfranzose fragwürdigster Provenienz ausgezeichnet gemundet. Mit dem Glas in der Hand stand er auf der Veranda, blickte auf Friedrichsburg, das unter einem orangerot glühenden Abendhimmel lag, und trank genüsslich einen weiteren Schluck. Er war sehr zufrieden.
    Der österreichische Oberst hatte die Flasche entkorkt, um das Eintreffen des Telegramms zu feiern. Wenn er auch vom Gelingen seines Plans von Beginn an fest überzeugt gewesen war, bedeutete es für ihn doch eine gewisse Erleichterung, die
Leviathan
sicher im Hafen von New York zu wissen. Wie leicht hätten ihm Wind und Wellen, die einzigen wirklichen Unbekannten in seiner komplexen Gleichung, einen Strich durch die Rechnung machen können. Dieser etwas unangenehmen Sorge war er nun ledig. Was jetzt noch folgte, betrachtete er als unterhaltsames Spielchen, dessen Ausgang schon jetzt unverrückbar feststand.
    »Meisterhaft«, lautete Kolowraths wohlgelauntes Urteil über seine Leistung. Er leerte das Glas bis zur Neige.
     
    Rebekka stürzte den Whiskey in einem Zug hinunter und Amalie tat es ihr gleich. Die Flasche vor ihnen auf dem Tisch war schon halb leer. Obwohl es dunkelte und ein kühler Wind wehte, saßen die zwei Frauen noch immer im Garten der Schule, versunken in Schwermut.
    Die Direktorin füllte zuerst Amalies Glas nach, danach ihr eigenes. »Wir haben wirklich kein Glück mit unseren Männern«, meinte sie düster. »Beide rennen in ihr Verderben und lassen uns in Bangen und Sorge zurück.«
    Amalie blickte die Direktorin aus glasigen Augen an und entgegnete im Tonfall

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