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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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ihm dicht auf den Fersen. Von hinten drangen viel zu deutlich ihr Brüllen, ihre Flüche zu ihm. Wie groß war der Abstand? Hundert Schritte, hundertfünfzig? Zu wenig.
Wohin, wohin, zur Hölle?
    Ein Pfiff gellte. Pfeyfer sah einen Zug herannahen. Zehn Güterwagen, in denen das Mehl aus Friedrichsburg gekommen war und die nun die Rückfahrt antraten. Das war seine einzige Hoffnung. Mit allem, was er noch an Kraft in sich hatte, rannte er zu dem Signalgerüst, das die Gleise kurz vor der Brücke überspannte. Der Zug war schon zu schnell, auf die schmalen Trittbretter an den Enden der Waggons zu springen, war unmöglich. Aber auf die Dächer konnte er gelangen. Wenn er alles gab.
    Pfeyfer erreichte die Signalbrücke, als die Lokomotive keine fünfzig Schritte mehr entfernt war. Keuchend hangelte er sich die Sprossen der Leiter hinauf zur Plattform. Unter ihm rumpelte die Lok entlang und hüllte ihn in eine Wolke aus beißendem Kohlenrauch. Durch das Stampfen und Schnaufen drangen immer mehr Schüsse. Er spürte den Tod im Nacken.
    Er konnte durch den Qualm nichts unter sich erkennen. War da ein Dach? Oder würde er in der Lücke zwischen zwei Waggons landen?
Spring! Spring endlich!
    Ein flammender Stich bohrte sich in seinen linken Arm. Der Schmerz ließ ihn zusammenfahren. Er verlor den Halt und stürzte vornüber in den weißen Rauch.

14. Februar
    Ein nagendes Pochen im Arm war das Erste, was Pfeyfer wahrnahm, als sich sein Geist langsam aus der bleiernen Bewusstlosigkeit löste. Dann kam ein aufwallendes Hämmern im Schädel hinzu. Pfeyfer öffnete mühsam die Augen.
    Er fand sich auf dem Dach eines Eisenbahnwagens wieder. Die Waggons waren auf einem Ausweichgleis neben der Bahnstrecke abgestellt worden. Ringsum erstreckte sich eine Landschaft aus struppigem Gras, niedrigem Buschwerk und ausgedehnten Gehölzen, schnurgerade durchschnitten von der Bahnlinie. Parallel zum Bahndamm verlief eine Chaussee, die von Telegraphenmasten gesäumt wurde. Weit und breit war kein Dorf, kein Gehöft auszumachen.
    Wo er sich befand, wusste Pfeyfer nicht. Die Tageszeit hingegen konnte er einschätzen. Die Sonne hing knapp über dem Horizont am rot glühenden Himmel. Demnach war es noch recht früh am Morgen, vielleicht gegen acht.
    Er fasste sich vorsichtig an den Hinterkopf und ertastete unter dem krausen Haar eine große Beule, die schon die leichteste Berührung mit peitschenden Schmerzen quittierte. Pfeyfer begann zu verstehen, was ihm widerfahren war. Bei der unglücklichen Landung auf dem Dach des Waggons hatte er sich den Kopf gestoßen und war in Ohnmacht gefallen.
    Verdammte Faulpelze!,
fluchte Pfeyfer über die Männer vom Grenzposten. Bei einer vorschriftsgemäßen Kontrolle des Zugs hätten sie ihn gefunden. Doch offenbar hatten sie sich mit einem oberflächlichen Blick ins Innere der leeren Wagen begnügt. Ihretwegen saß er nun in dieser Einöde fest.
    Behutsam schob er den linken Hemdsärmel hoch; der Stoff war zwischen Schulter und Ellenbogen steif von geronnenem Blut. Ein brennendes Pochen pulsierte im Fleisch, ein Stich fuhr bei jeder Bewegung durch seinen Oberarm. Pfeyfer befürchtete Schlimmes, doch er stellte fest, dass die Kugel ihn nur gestreift hatte. Wulstiger Schorf bedeckte bereits die Wunde. Vorsorglich riss Pfeyfer einen Streifen Stoff vom Hemd und band ihn stramm über die Verletzung, um die empfindliche Stelle zu schützen. Dann kroch er hinüber zum Ende des Daches, wo ein einfacher Holzsitz und ein Handrad zur Betätigung der Bremse angebracht waren. Wie erwartet fand Pfeyfer dort eine Leiter an der Stirnseite des Wagens vor. Er hangelte sich die Sprossen hinab, immer darauf bedacht, seinen linken Arm nicht über Gebühr zu belasten. Von der untersten Sprosse gelangte er zunächst auf ein kleines Trittbrett und stieg dann vom Waggon. Er verspürte ein eigentümliches Gefühl der Sicherheit, als die spitzen Schottersteine durch die dünnen Ledersohlen seiner Schuhe drückten.
    Nachdem er mit beiden Füßen wieder auf festem Boden stand, überlegte Pfeyfer, was er tun sollte. Auf gar keinen Fall wollte er zulassen, dass der Plan der Südstaatler Früchte trug. Nach kurzem Nachdenken entschloss er sich, den Gleisen nordwärts zu folgen. Irgendwann musste er zu einem Bahnhof gelangen. Dann konnte er ein Telegramm nach Friedrichsburg schicken und den Kronprinzen vor der Verschwörung warnen.
    Er machte sich auf den Weg, im Geschwindschritt. Jede Minute zählte.
     
    Nach kurzer Zeit tauchten zwischen

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