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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Büschen und Gras zwei Reihen weißer Zelte auf, deren Anblick Pfeyfer wohlvertraut war. Preußische Infanterie, vermutlich eine Kompanie stark, hatte ihr Lager dort aufgeschlagen, wo ein Abzweig der Bahnlinie und der Straße nach Nordwesten führte. Gleich darauf traf er auf einen dunkelhäutigen Wachposten im grünen Rock der Karolinischen Jäger. Heilfroh glaubte Pfeyfer sich am Ziel; nun würde er gleich Friedrichsburg alarmieren können. Er beschleunigte seine Schritte.
    Als der Soldat einen Schwarzen in blutbefleckter, zerfetzter Kleidung auf sich zulaufen sah, nahm er zunächst an, einen mit knapper Not entflohenen Sklaven aus Georgia vor sich zu haben und erkundigte sich besorgt in simplem Englisch nach seiner Verfassung. Groß war seine Verwunderung, als Pfeyfer ihm schroff das Wort abschnitt, sich als Major vom 1. Karolinischen InfanterieRegiment zu erkennen gab und verlangte, unverzüglich den befehlshabenden Offizier der Einheit zu sprechen. Die Bestimmtheit seines Auftretens verfehlte ihre Wirkung nicht. Der verblüffte Jäger benötigte zwar einen Moment, diese überraschende Eröffnung zu verdauen; dann jedoch schlug er die Hacken zusammen und bat den Major, ihm zu folgen.
    Im Lager waren die Soldaten mit dem Reinigen ihrer Waffen beschäftigt. Ihr Verhalten zeigte Pfeyfer überdeutlich, wie sehr es auch in dieser Einheit gärte. Die Männer saßen klar geschieden voneinander vor ihren Zelten, Weiße auf der einen Seite, Schwarze und Mulatten auf der anderen. Beide Gruppen schienen einander zu belauern, beobachteten sich gegenseitig in stummem Abscheu, hinter dem Hass keimte. Unheilschwangeres Schweigen lastete über der beängstigenden Szenerie. Unter normalen Umständen hätte wohl mancher der Soldaten Pfeyfer erkannt; doch jetzt schenkte keiner von ihnen dem verletzten Schwarzen, der zwischen den Zeltreihen entlangging, besondere Beachtung. Alle waren versunken in bedrohliches Brüten.
    Ganz anders reagierte der Kommandeur, als Pfeyfer in sein Zelt trat. Hauptmann Ludwig Junger-Fuchs, der gerade auf dem Feldbett sitzend seinen Degen polierte, starrte ihn im ersten Moment mit vor Staunen weit offenem Mund an. Dann sprang er auf und bestürmte Pfeyfer überstürzt.
    »Mein Gott, Wilhelm! Bist du das wirklich? Ich hätte dich in dem Aufzug fast nicht – und du bist verletzt! Teufel noch eins, was ist passiert? Woher –«
    »Erkläre ich dir alles später«, unterbrach Pfeyfer den Hauptmann. »Ich muss unverzüglich nach Friedrichsburg telegraphieren, an den Kronprinzen. Sonst bricht ein Desaster herein.«
    »Aber – hier gibt es weit und breit keine Telegraphenstation.«
    Pfeyfer riss die Augen auf. »Das ist nicht dein Ernst! Wo sind wir überhaupt?«
    »Am Ufer des Combahi-Flusses«, erklärte Junger-Fuchs. »Die Abzweigung der Eisenbahn führt nach Jamasse, hinter dem Wald, und dann weiter nach Oranienburg. Himmel, wie kommst du denn hierher, wenn du nicht weißt, an welchem Ort –«
    »Jamasse! Da gibt es einen Bahnhof!«
    Der Hauptmann schüttelte den Kopf »Aber keine Telegraphenlinie, die ist noch im Bau. Die nächste Möglichkeit zum Telegraphieren wäre in WhiteHall, drüben auf der Ostseite des Flusses.«
    Aufgebracht schlug Pfeyfer mehrmals nacheinander die Faust in die Hand. »Verdammt, verdammt, verdammt! Wir müssen einen Boten dorthin schicken. Ist dein Pferd gesattelt?«
    Pfeyfers Drängen machte den Hauptmann zunehmend nervös; er begann zu ahnen, dass die Lage überaus ernst sein musste. »Meine Kompanie wurde für eine Felddienstübung mit dem Zug hergebracht, ohne Offizierspferde«, antwortete er. »Aber ich habe unter meinen Jägern einen guten Läufer, der die Strecke dorthin in vielleicht anderthalb Stunden bewältigen kann. Nun sag mir doch endlich, was los ist!«
    Pfeyfer reagierte nicht auf die Frage, sondern presste sich die Hände an die Schläfen und sprach mit zugekniffenen Augen, als würde er laut denken: »Anderthalb Stunden … um neun wollen sie aufbrechen. Gegen halb elf sind sie hier, unmöglich früher. Aber in Friedrichsburg … gottverflucht, das passiert ja auch gleich um neun, wenn sie die Provinz kopflos machen wollen. Wir können nicht mehr verhindern, dass sie ihn gefangen setzen!«
    »Wilhelm! Ich verstehe kein Wort!«, stieß der Hauptmann hervor und rüttelte Pfeyfer am Arm. »Was geht vor? Wer soll gefangen gesetzt werden?«
    Der Major blickte auf und sah seinem Gegenüber direkt ins Gesicht. »Wir alle«, entgegnete er dunkel. »Ist die Kompanie

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