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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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kampfbereit?«
    »Du hast sie gesehen«, sagte Junger-Fuchs lakonisch.
    Was der Hauptmann meinte, war Pfeyfer klar. Und er mochte sich nicht ausmalen, wie sich Junger-Fuchs fühlen musste, der als Tscheroki-Indianer unbehaglich zwischen den Fronten von Schwarz und Weiß stand.
    »Habe ich«, bestätigte er kurz. »Ich übernehme das Kommando. Lass die Kompanie antreten.«
     
    »Nun wissen Sie, was bevorsteht«, schloss Pfeyfer seine knappe, drastische Darstellung der Situation ab. »Siegen unsere Feinde, geht ganz Karolina zugrunde, Weiße wie Neger. Nur wir stehen jetzt noch zwischen ihnen und dem Verderben.«
    Die Männer der Kompanie sahen ihn an. Doch nicht wie Soldaten, denen man befohlen hatte, einem Vorgesetzten zuzuhören; nicht mehr. In ihre Gesichter stand Entsetzen geschrieben, verstörter Schrecken, hilflose Wut auf einen ungreifbaren Gegner, sämtliche Schattierungen der Fassungslosigkeit. Nichts war geblieben vom schwelenden Hass gegeneinander. Jeder hatte begriffen, wer der wahre Feind war.
    Die unerwartet starke Wirkung seiner Worte frappierte Pfeyfer; aber ihm war nicht danach zumute, gerade jetzt über sein bis zu diesem Tag unentdeckt schlummerndes rhetorisches Talent nachzusinnen.
    »Wir werden uns dem Gegner hier in den Weg stellen«, fuhr er mit fester Stimme fort. »Hundert Mann gegen ein ganzes Regiment. Sie alle wissen, was das bedeutet. Trifft nicht rechtzeitig Verstärkung ein, ist unser Leben nicht einen Pfennig mehr wert.«
    Er hielt inne, nur einen Augenblick lang, und forschte in den Mienen der Soldaten. Als er kein Zeichen von Furcht entdecken konnte, beschloss er das Wagnis einzugehen und sprach weiter.
    »Einem Soldaten wird nicht freigestellt, ob er kämpfen will. Doch dies ist keine gewöhnliche Schlacht. Ich führe Sie in ein Gefecht, das jeder Vernunft zuwiderläuft. Wer von Ihnen nicht vollkommen sicher ist, ob er hierbleiben will, soll vortreten und kann gehen. Ich halte niemanden auf.«
    Noch bevor er den letzten Satz beendete, fragte Pfeyfer sich bereits, ob er nicht einen großen Fehler beging. Trat nur ein Mann vor, konnte das alle, die insgeheim schwankend waren, ebenfalls dazu bewegen. Er war seinem Gewissen auf eine Weise gefolgt, die er früher niemals auch nur im Traum für möglich gehalten hätte. Vielleicht erhielt er nun eine schmerzliche Quittung für diesen Verstoß gegen alles, was er bis dahin als unantastbare Wahrheiten über Pflicht und Gehorsam mit sich getragen hatte. Er wollte schlucken und merkte, dass sein Rachen staubtrocken war. Beklemmt hielt er den Atem an und wagte kaum, auf die Reihen der Jäger zu schauen. Aber keiner von ihnen machte den Schritt nach vorne. Alle verharrten regungslos. In ihren Augen meinte Pfeyfer eine unbeirrbare Verbissenheit zu lesen, wie er sie noch nie bei Menschen erlebt hatte.
    Der Major verbarg seine Erleichterung hinter einem spröden Nicken. »Lager abbrechen«, ordnete er an. »Abrücken in zehn Minuten.«
     
    Junger-Fuchs klappte den Deckel der Taschenuhr auf. »Fünf nach halb neun«, ließ er Pfeyfer wissen.
    »Bleiben uns also rund zwei Stunden. Das genügt für unsere Vorbereitungen, keine Sorge«, versicherte der Major.
    »Die vor uns liegenden zwei Stunden bereiten mir auch mitnichten Sorgen«, meinte der Hauptmann ernst, schloss die Uhr und steckte sie wieder ein. »Nur die darauf folgenden zwei Stunden.«
    Sie standen bei der eisernen Brücke, auf der das Bahngleis und die Chaussee gemeinsam über den lehmbraunen Fluss führten. Ohne Tritt marschierte die Kompanie hinüber, um auf dem östlichen Ufer Stellung zu beziehen. Zwei Mann waren noch dabei, fünfzig Schritt vor der Brücke eine Schiene zu lockern. Und ein Bote rannte sich die Seele aus dem Leib, damit die Meldung, von der alles abhing, noch rechtzeitig Friedrichsburg erreichte.
    Pfeyfers Plan war einfach. Entgleiste die Lokomotive, waren die Südstaatler gezwungen, ihren Weg zu Fuß fortzusetzen. Die Jäger hielten sich verborgen und schossen erst, wenn die Konföderierten sich mitten auf der Brücke befanden, wie auf dem Präsentierteller und ohne die Möglichkeit, sich zu einer feuerstarken Linie zu formieren. Zudem mussten sie ihre Vorderlader ungeschützt im Stehen nachladen, während die preußischen Soldaten dank ihrer Zündnadelgewehre in Deckung bleiben konnten.
    »Zuversicht, Ludwig. Du
musst
Zuversicht zeigen«, forderte Pfeyfer den Hauptmann nachdrücklich auf. »Bei den Thermopylen hielten dreihundert Spartaner ein persisches Heer von

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