Die Fahrt des Leviathan
aufeinander. Dann schoss mit einem Mal ein Brennen durch seinen Magen. Er sah an sich hinab. Der Säbel steckte tief in ihm.
Weaver zog den Stahl mit einem Ruck wieder aus dem Körper. Healey taumelte zurück, stieß gegen den Tisch. Die Waffe entglitt seiner Hand, fiel scheppernd auf den Boden. Er verspürte keinen Schmerz. Lediglich eine dumpfe Taubheit, die sich von der Mitte seines Leibes her ausbreitete.
»Selbst als Verräter ein Nichts«, befand Weaver verächtlich. »Und einem solchen Kümmerling wollte ich tatsächlich zur Frau seiner Träume verhelfen.«
Healey riss die Augen auf. »Was – was heißt das?«, ächzte er. Beim Sprechen spürte er etwas warm und zäh seinen Hals hinaufkriechen.
»Dass ich damals Ihr lächerliches Gebet belauscht habe«, eröffnete ihm der Verleger. »Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass dieser Quacksalber Täubrich auf der
Leviathan
mitfährt. Hendricks wurde von mir angewiesen, ihn über Bord zu werfen, damit der Weg für Sie frei ist. Tja, vergebliche Liebesmüh’!« Er lachte wieder, diesmal in boshafter Genugtuung.
»Sie haben ihr das angetan«, röchelte Healey verstört. »Sie – haben –«
Er packte den Brieföffner und stürzte sich auf Weaver, der von diesem letzten Aufbäumen völlig überrascht wurde.
Healey rammte dem Verleger das Messer in den Hals.
* * *
Täubrichs Kiefer schmerzte. Hendricks hatte ihm einige Stunden zuvor, als vom Korridor her das Geräusch von Schritten durch die Wand gedrungen war, einen geknüllten Lappen als Knebel in den Mund gezwängt. Längst herrschte wieder völlige Stille im Schiff, aber der Kapitän dachte überhaupt nicht daran, seinen Gefangenen von dem mit Speichel durchweichten Stoffknäuel zu erlösen.
Beide Männer waren übernächtigt. Die vielen Stunden ohne Schlaf forderten ihren Tribut. Dennoch riskierte keiner von ihnen, die Augen auch nur für einen Moment zu schließen und dann vielleicht ungewollt der Müdigkeit nachzugeben.
»Viertel vor neun! Hörst du den Sand rieseln? Hörst du ihn?«, höhnte Hendricks und schnaubte ein bösartiges Lachen hervor. »Körnchen um Körnchen, für dich und die ganze Yankeebrut da draußen!«
Halb stehend, halb sitzend lehnte er am Tisch und hielt den Revolver auf den am Boden hockenden Doktor gerichtet. Seine Augen flackerten glasig, unstetes Zucken fuhr immer öfter durch sein zerstörtes Gesicht. Hendricks’ Körper flehte nach Morphium, so viel erkannte Täubrich. Und das, obwohl sie sich nicht mehr auf hoher See befanden. Er konnte nur vermuten, dass der Mangel an Schlaf im Bunde mit der rohen Gewalt von Hendricks’ abnormen Emotionen der Auslöser war. Doch die Ursache war Täubrich gleichgültig. Nur die Wirkung interessierte ihn. Auf die Erscheinungen des Entzugs folgten bei Hendricks die Schmerzen, das wusste er mittlerweile. Vielleicht verschaffte ihm das einen entscheidenden Vorteil, sobald der Moment kam. Vielleicht war der Kapitän dann durch die Qualen unfähig, schnell genug zu reagieren.
»Und wenn das letzte Körnchen gefallen ist, dann bringe ich als Erzengel das Strafgericht Gottes über diese Rasse von Bastarden!« Hendricks’ Lachen steigerte sich zu einem aberwitzigen Taumel, in dem sich die Worte überschlugen. »Sodom und Gomorrha sind dagegen ein Dreck! Der Gestank von verbranntem Yankeefleisch wird bis nach Washington treiben und Old Abe seinen letzten Fraß auskotzen lassen!«
Oder vielleicht erschießt er mich schon vorher in einem Anfall von Wahnsinn,
dachte Täubrich.
* * *
Rebekka brachte ihren Einspänner vor dem Büro der Richmond-Handelsgesellschaft zum Stehen. »Und ich soll wirklich nicht mit Ihnen hineingehen?«, fragte sie Amalie.
Die junge Lehrerin schüttelte den Kopf. »Nein, Rebekka. Ich danke Ihnen, aber dabei können Sie mir nicht helfen.«
Sie fühlte sich scheußlich, weil sie Healey am vorigen Abend so grob behandelt hatte. Und das umso mehr, als sie wusste, wie verletzlich er war. Die Schuldgefühle nagten schon seit der Nacht an ihr. Sie musste ihn um Verzeihung bitten und ihm sagen, wie leid es ihr tat.
Geschickt hielt Amalie mit einer Hand ihre Krinoline und stieg vom Wagen. Sie begab sich hinüber zum Eingang des Büros und legte zögerlich die Hand auf die Klinke, traute sich jedoch nicht, sie auch hinunterzudrücken. Unsicher wandte sich zu Rebekka um. Die Direktorin nickte ihr ermutigend zu. Amalie atmete mit einem Seufzer durch, öffnete die Tür und ging hinein.
Im Inneren des Büros, in
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