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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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englischsprachigen Bevölkerung bezeichnet, in Wahrheit aber das Sprachrohr jener ist, die nicht nur Karolina von Preußen loslösen wollen, sondern auch Sklaverei offen gutheißen und die Lehre von der geistigen und moralischen Minderwertigkeit aller Neger unverhohlen vertreten. Widerwärtigster Schmutz, gefährlich für den Staat und die öffentliche Ordnung.«
    »Ich verstehe«, meinte Krüger und ließ den Blick zwischen den Leichen wandern. »Offenbar haben die beiden Herren sich gegenseitig erschossen.«
    »Es hat zumindest den Anschein«, schränkte Täubrich ein. Er stand auf und ging hinüber zu Heinzes Leichnam, um seine Untersuchung des toten Hauptmanns fortzuführen. Krüger stellte keine weiteren Fragen, sondern beschränkte sich darauf, aufmerksam dabei zuzusehen, wie der Arzt den Uniformrock öffnete.
    Die Anwesenheit des Geheimpolizisten fand Pfeyfer nicht nur höchst überflüssig, sie erschien ihm geradezu als eine Respektlosigkeit gegenüber seinem Freund. Er hatte es nicht verdient, dass ein so widerwärtiger Mensch ungerufen am Ort seines Todes auftauchte. Und ebenso wenig hatte er diesen Ort für seinen Tod verdient. Pfeyfer war der festen Überzeugung, dass es für einen Soldaten zwei wirklich würdige Arten gab, aus der Welt zu scheiden: auf dem Felde der Ehre, wo er dem Vaterland zuliebe sein Leben gab, oder im heimischen Bett, wenn er durch seine beständige Wachsamkeit jeden Feind davon abgehalten hatte, die Waffen zu erheben. Dieses heruntergekommene Lagerhaus hingegen war ein bedrückend würdeloser Platz zum Sterben, was immer hier auch geschehen sein mochte.
    Bisher hatte Pfeyfer der Umgebung kaum Beachtung geschenkt. Nun erst erfasste er, wie es um ihn herum aussah. Die toten Männer lagen im hinteren Bereich des nahezu leeren Lagerraums, dessen ganze Schäbigkeit durch eine leise zischende Gaslampe erhellt wurde. An der Wand stand eine halb fertig montierte Druckerpresse neben einer großen Werkbank mit allerlei Gerätschaften. Darüber hinaus befand sich in unmittelbarer Reichweite nur ein Stapel voluminöser Tabakballen, zu einer unregelmäßigen Pyramide von gut acht Fuß Höhe aufgetürmt, sowie einige nahe der nackten Ziegelmauer gestapelte Kisten. In der Luft hing der stumpfe Geruch von altem Staub, Maschinenöl, trockenen Tabakblättern und feuchten Backsteinen, in den sich nun noch der morbide Gestank von gerinnendem Brut mengte. Dass Heinze dieser Ort zum Sterben aufgezwungen worden war, empfand Pfeyfer als eine letzte böswillige Demütigung seines Freundes.
    Während der Major seinen trüben Gedanken nachhing, versuchte Täubrich immer noch, die Brust des Hauptmanns freizulegen. Die verdrehte Seitenlage des Toten machte es ihm schwer, die Kleidung zu öffnen. Vorsichtig drehte er daher den Körper auf den Rücken. Dabei bemerkte er, dass etwas in der Innentasche des Mantels steckte. Er fasste hinein und zog ein verschlossenes Briefkuvert hervor. Nur einen kurzen Blick warf er auf den Umschlag, dann reichte er ihn an Pfeyfer weiter: »Der ist an Sie gerichtet, Herr Major.«
    »An mich?« Pfeyfer nahm irritiert den Brief entgegen und stellte fest, dass es stimmte. Der Umschlag, versehen mit einer noch nicht gestempelten Briefmarke, war adressiert an
Herrn Major Wilhelm Pfeyfer, beim Corps-Commando am Prinzenplatze, Friedrichsburg. Nur persönlich auszuhändigen!,
und das in einer Handschrift, die ihm seltsam bekannt schien.
    Mit einer unguten Vorahnung öffnete er den Brief und las die wenigen Zeilen.
    »Oh mein Gott!«, entschlüpfte es ihm unwillkürlich. Wie vor den Kopf geschlagen starrte er auf die Nachricht. »Jetzt verstehe ich.«
    »Was verstehen Sie?«, fragte Krüger drängend nach.
    Pfeyfer ließ den Brief sinken und sah den Geheimpolizisten an, dessen Gegenwart ihm durch diese pietätlose Aufdringlichkeit mehr denn je zuwider war. »Was hier passiert ist und wieso Hauptmann Heinze sterben musste. Ich erhielt seit geraumer Zeit anonyme Briefe, in denen ich über bevorstehende Vorhaben von Parteigängern der Konföderation in Karolina in Kenntnis gesetzt wurde. Ich hatte mich stets gefragt, von wem diese Hinweise stammen mochten. Jetzt aber …«
    Er räusperte sich und las den kurzen Brief mit belegter Stimme vor: »Hier steht:
Hochgeehrter Herr Major, es ist mir seit langem bekannt, daß sich in den Reihen des Officierscorps ein Mann befindet, dessen Name Ihnen sogar vertraut ist und dessen wahre Loyalität den Feinden Preußens gilt. Er mißbraucht seine Stellung

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