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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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berichten konnte. Schnell gelangte sie zu der Einsicht, dass es nicht möglich war.
    Es würde immer nach schamloser Aufschneiderei klingen, wie sie es auch drehte und wendete.
    Mit einem leisen Seufzen des Bedauerns machte sie sich auf, nunmehr das Buffet im Nebensaal eingehend zu würdigen.
     
    Das Buffet erwies sich als reich bestückt mit vielem, das Amalie schon beim bloßen Ansehen das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, mit so manchem, das sie bislang nur vom Hörensagen kannte, und mit nicht wenigem, das ihr völlig unbekannt war. Die kunstvoll zu Pyramiden aufgeschichteten Früchte erschienen ihr so exotisch, als stammten sie samt und sonders aus einer Märchenwelt. Alles sah äußerst appetitlich aus und roch verlockend. Dennoch zauderte Amalie, etwas zu kosten. Das Buffet war nämlich auf die eigenartige amerikanische Weise angerichtet, bei der sich die Gäste selbst von den bereitstehenden Speisen bedienten. Um sich nicht durch Ungeschicklichkeiten zu blamieren, beobachtete sie zunächst für einige Minuten das Verhalten der anderen Gäste, bis sie sicher war, das Konzept verstanden zu haben. Dann erst nahm auch sie sich einen Teller und schritt die Tafel entlang, um etwas auszuwählen.
    Der Duft eines Gerichts, durch ein daneben aufgestelltes Schildchen als Huhn in Kokosnusssauce ausgewiesen, machte sie ganz besonders neugierig. Sie strecke die Hand nach der zweizinkigen Gabel aus, um sich ein Stückchen zu nehmen; doch im gleichen Augenblick fasste noch jemand anders von rechts her nach dem Griff der Gabel, so dass sich die Finger beider Hände unwillkürlich ineinander verschlangen.
    Amalie wandte erstaunt den Kopf und sah, dass die fremde Hand einem groß gewachsenen, gut aussehenden jungen Mann gehörte, der sie nicht minder perplex und etwas verlegen anlächelte.
    »Wir sind uns noch nicht begegnet, gnädiges Fräulein? Georg Täubrich, Doktor der Medizin. Es ist mir ein großes Vergnügen«, stellte er sich vor und musste dann unübersehbar einen Kloß im Hals hinunterschlucken.
    »Amalie von Rheine … und das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte die Lehrerin hingerissen.
    Dann folgten Sekunden des Schweigens, bei denen sich beide wortlos in die Augen schauten, bis ein Gast sich an ihnen vorbeidrängte, um an die Crèmetörtchen zu gelangen.Ein wenig orientierungslos blinzelte Amalie, dann fand sie ihre Sprache wieder und schlug vor: »Äh … vielleicht sollten wir die Gabel loslassen, Herr Täubrich?«
    »Nur sehr ungern. Ich wollte ja eigentlich etwas von dem Huhn kosten«, entgegnete Täubrich – und setzte nach einer Kunstpause verwegen hinzu: »Außerdem würde ich dann ja Ihre Hand freigeben müssen.«
    »Ich glaube nicht, dass Sie auf Besteck als Ausrede angewiesen sind, um meine Hand zu halten«, sagte Amalie mit einem einladenden Augenaufschlag.
    Doktor Täubrich, der so direktes Entgegenkommen eindeutig nicht erwartet hatte, wurde ein wenig rot. Doch zugleich wirkte er ausgesprochen glücklich.
    Wieder folgte ein Moment des Schweigens, der jedoch unsanft beendet wurde. Ein plötzlicher Ruf ließ Amalie zusammenfahren: »Doktor Täubrich! Endlich finde ich Sie!«
    Major Pfeyfer war in den Raum getreten und hielt mit schnellen Schritten auf den Doktor zu. Als er Amalie sah, stutzte er zwar kurz, deutete aber nur ein eiliges Nicken an und fasste dann Täubrich am Arm. »Ich brauche Sie. Rasch, kommen Sie mit. Draußen wartet eine Droschke.« Unerbittlich zog er den widerstrebenden Arzt mit sich und ließ keine Einwände gelten.
    Aufgebracht über die Rücksichtslosigkeit des Majors schaute Amalie ihnen hinterher.
Von diesem rüpelhaften Offizier lasse ich mir doch keine Hindernisse in den Weg legen!,
dachte sie und kniff trotzig die Lippen zusammen. Für sie stand fest, dass sie Georg Täubrich wiedersehen würde. Und zwar sehr bald.
    Entschlossen nahm sie die Gabel an sich und platzierte ein Stück Hühnerfilet auf ihrem Teller.
     
    * * *
     
    Die Droschke jagte durch die Nacht. Auf Pfeyfers Befehl trieb der Kutscher die Pferde bis zum Äußersten. Das Stakkato der Hufe hallte von den Häuserfassaden wider, die Echos überlagerten sich zu einem atemlosen Dröhnen.
    »Es ist ein Irrtum. Es
muss
ein Irrtum sein«, murmelte Pfeyfer beharrlich. »Die Nachricht war flüchtig und ungenau. Sicher ist er nur verletzt. Dann müssen Sie ihm schnell helfen, Doktor.«
    »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht«, versicherte Täubrich.
    Pfeyfer wahrte Haltung, doch der Arzt

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