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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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und lehnte das Trinkgeld mit höflicher Bestimmtheit ab.
    Noch einmal entschuldigte sich Healey für die Ungelegenheiten, richtete seinen etwas aus der Fassung geratenen steifen Hemdkragen und verließ den Waschraum.
    Er ging bedrückt durch die großen Säle, in denen jetzt statt der strahlenden Kronleuchter nur noch einige Gaslampen für sparsames Halblicht sorgten. Eine Handvoll Bediensteter und Soldaten war damit beschäftigt, die Überbleibsel des Balls aufzuräumen. Niemand schenkte dem verspäteten Gast Beachtung.
    Während Healey die leeren Räume durchquerte, reifte in ihm ein Entschluss. Er wollte Amalie von Rheine wiedertreffen und ihr dann offen sagen, wie bezaubernd sie war. Das würde eine Menge Mut erfordern, weit mehr, als er bislang in seinem ganzen Leben für irgendetwas hatte aufbringen müssen. Dennoch stand für ihn unverrückbar fest, dass er es tun würde.
    Seine Schritte wurden fester und selbstsicherer. Mit neu gewonnenem Schwung bog er um eine Ecke und stolperte dabei fast über den großen Pappmaché-Adler, der hier auf dem Boden abgelegt war.

27. Oktober
    Ein Außenstehender hätte leicht meinen können, Wilhelm Pfeyfer sei in Apathie versunken. Er saß hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich ein Stapel ungelesener Schriftstücke türmte, und hatte die Augen auf einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand gerichtet. Seine Untätigkeit erweckte den Anschein, als hätte ihn der Verlust seines besten Freundes gelähmt und jedes Antriebs beraubt.
    Doch der äußere Eindruck trog. Der Verstand des Majors arbeitete ruhelos. Und das gegen alle Hindernisse, die ihm sein Gemüt und sein Körper in den Weg legten. Er musste seine gesamte Selbstdisziplin mobilisieren, um klare Gedanken zu fassen, weil sein Hirn wie von den schweren Nebeln eines bösen Fiebers umfangen war. Die abscheulichen Erlebnisse der vergangenen Nacht hatten ihn zudem keinen Schlaf finden lassen; die Müdigkeit steckte ihm in den Knochen. Aber keines dieser Hemmnisse vermochte ihn vom Weg abzubringen.
    Natürlich wusste er, dass er nicht ewig untätig bleiben und sich auf das angestrengte Nachdenken beschränken konnte. Die sich auf dem Tisch häufenden Papiere waren ein stummer vorwurfsvoller Appell an sein Pflichtgefühl. Und wenn der König am folgenden Tag, nachdem er sich von den Anstrengungen der Ballnacht erholt hatte, sein Besuchsprogramm fortsetzte, mussten die Dispositionen für seine Sicherheit getroffen werden. Vorerst jedoch gab es andere Angelegenheiten, die Pfeyfer beschäftigten.
    Wenn er den Blick nach links wendete, sah er den leeren Schreibtisch, an dem nie wieder Friedrich Heinze sitzen würde. Dann kochte in ihm ein ätzendes Gemenge aus Trauer und Zorn auf, das schon den gesamten Morgen, ja seit der Nacht die Richtung seiner Überlegungen bestimmte. Er wollte Vergeltung.
    Sein Problem bestand darin, dass er keinen Weg fand, diese Vergeltung herbeizuführen. Heinzes Mörder war bereits vor seinen Richter getreten. Weavers Komplizen hingegen lebten und verspritzten weiterhin ihr Gift, unerkannt und ungehindert.
    Bei dem Versuch, sie aufzuhalten, hatte Heinze alles riskiert und alles verloren.
    Nur auf eine einzige Weise kann ich Fritz Gerechtigkeit widerfahren lassen,
dachte Pfeyfer und drehte abwesend einen Brieföffner zwischen den Fingern.
Ich muss sein Werk zu Ende führen und diese widerwärtige Natternbrut zertreten!
    Aber so deutlich ihm sein Ziel vor Augen stand, so wenig wusste er, wie er dorthin gelangen sollte. Schon seit Jahren jagte er erfolglos den Agitatoren nach, die Preußens Flagge nicht mehr über Karolina sehen wollten. Stets waren sie schattenhafte Gestalten geblieben. Sie zu ergreifen würde ihm nur gelingen, wenn es etwas gab, das er in all der Zeit übersehen hatte und das er nun durch intensives Nachdenken doch noch aufspürte. Oder wenn etwas Unerwartetes geschah, das ihm einen Anhaltspunkt lieferte.
    Und ich muss den Verräter enttarnen,
ermahnte sich Pfeyfer. Nur mit Abscheu konnte er an den Offizier denken, der seinen Eid gebrochen und sich den Feinden des Staates angedient hatte. Die Existenz einer solchen Kreatur erfüllte ihn mit zusätzlicher Wut. Ein Verräter in den eigenen Reihen war eine Schande für das gesamte Offizierskorps, ja die gesamte preußische Armee. Wie er diesen Menschen ohne die Informationen, die Heinze ihm geben wollte, erkennen und seiner Strafe zuführen sollte, konnte er noch nicht sagen. Aber auch das würde ihm gelingen.

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