Die Fahrt des Leviathan
gegen das offensichtlich Scheinende. Eine Obduktion würde mein Gewissen als Arzt sehr beruhigen.«
»Meinetwegen. Ich betraue Sie mit der Durchführung einer Leichenschau. Doch nur, wenn ich Ihr Wort habe, dass Sie hinterher den Leichnam Hauptmann Heinzes in einen würdigen Zustand versetzen«, verlangte Pfeyfer bestimmt.
Täubrich nickte und beteuerte, dies versprechen zu können. Ein letztes Mal blickte er auf die blassen Gesichter der beiden Verstorbenen, dann zog er sich den leicht verrutschten Frack zurecht. »Meine Herren, wir können hier nichts weiter ausrichten. Verlassen wir diesen betrüblichen Ort. Ich werde einen Leichenwagen kommen lassen, der die Verblichenen in die Leichenhalle der Universität überführt.«
Pfeyfer stimmte zu. Er erteilte dem Wachtmeister noch den Befehl, sich zum Polizeipräsidium zu begeben und dort Bericht zu erstatten. Schutzmann Litzow sollte im Lagerhaus zurückbleiben und die Toten bewachen, bis der Leichenwagen eintraf. Dann wandte sich der Major gemeinsam mit Täubrich und Krüger zum Gehen. Als die drei Männer ins Freie traten, atmete Pfeyfer tief durch. Selbst die kühle, vom brackigen Geruch des nahen Flusses geschwängerte Nachtluft war ihm tausendmal lieber als der faulige Gestank des Todes im Inneren des Lagerhauses.
Krüger lüftete den Hut. »Herr Major, Herr Doktor, es wird nun Zeit für mich. Ich darf Sie des Mitgefühls für den Verlust Ihres Kameraden versichern, Herr Major, und wünsche trotz dieser unerquicklichen Ereignisse eine angenehme Nachtruhe.«
Pfeyfer legte stumm die Hand an den Mützenschirm,
Täubrich murmelte undeutlich eine Abschiedsfloskel und neigte kaum wahrnehmbar den Kopf.
Der Polizeidirektor entfernte sich und verschwand im Schein einer einsamen Gaslaterne um die nächste Häuserecke.
»Wer ist dieser unangenehme Mann eigentlich?«, fragte der Doktor befremdet.
»Ich erkläre es Ihnen später«, meinte Pfeyfer ausweichend. »Zunächst einmal bin ich froh, dass er weg ist.«
»Nicht nur Sie. Wir sollten uns beeilen, die Droschke wartet schon recht lange auf uns. Der Kutscher wird sich jede Minute seines versäumten Schlafs teuer bezahlen lassen.«
Pfeyfer schüttelte den Kopf. »Ich werde zu Fuß heimkehren. Ich benötige frische Luft … und ein wenig Ruhe zum Nachdenken. Ich danke Ihnen, dass Sie hierher mitgekommen sind, Doktor Täubrich. Und bitte vergeben Sie mir, dass ich Ihren Ballabend so abrupt beendet habe. Ich verspreche Ihnen, es wieder gutzumachen.«
Sie schüttelten die Hände. Der Arzt stieg in die Droschke, die sich daraufhin unter dem Klappern der Hufe in Bewegung setzte.
Pfeyfer sah der davonrollenden Kutsche noch einige Sekunden nach, dann verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und ging langsam die menschenleere nächtliche Straße hinab. Ein feiner, kühler Nieselregen setzte ein.
* * *
»Ich will einfach nur in Frieden sterben«, wimmerte Healey aus dem Inneren der Abortkabine.
»Aber doch nicht hier, mein Herr«, bekniete ihn der Nachtwächter und klopfte nochmals an die verriegelte Tür. »Ich bitte Sie inständig, Sie müssen nun das Gebäude verlassen. Der Ball ist zu Ende, alle anderen Gäste sind bereits gegangen.«
Kaum hatte er das gesagt, da wurde die Tür unvermittelt aufgestoßen und Alvin Healey, dessen käsebleiches Gesicht von quälender Übelkeit gezeichnet war, kam entsetzt herausgestürzt.
»Alle weg? Sagen Sie, dass das nicht wahr ist!«, bestürmte er den Nachtwächter.
»Doch, mein Herr. Die letzten gingen vor einer Viertelstunde.«
Erschrocken blickte Healey sein Gegenüber an. »Aber doch nicht Demoiselle von Rheine?«
»Ich weiß zwar nicht, wen Sie meinen, aber ich kann Ihnen versichern, dass niemand mehr da ist. Abgesehen von Ihnen natürlich.«
Der Amerikaner hätte am liebsten laut aufgeschrien; nur weil er sich vor dem schwarzen Nachtwächter keine Blöße geben wollte, biss er sich auf die Zunge und beschränkte sich auf stumme Selbstvorwürfe.
Einmal lerne ich eine schöne Frau kennen, und dann so was! Was musste ich Volltrottel auch den Sekt hinunterstürzen wie Limonade. Ich bin ein kompletter Idiot!
Er wünschte sich für seine Dummheit einen Moment lang sämtliche Qualen der Hölle an den Hals, dann wich die Wut kläglicher Niedergeschlagenheit.
»Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Umstände bereitet haben sollte«, murmelte er kraftlos und holte einen Silbergroschen aus der Tasche hervor. Doch der Nachtwächter verwies darauf, dass er Beamter sei,
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