Die Fahrt des Leviathan
und sein Wissen zum Nachtheile des Landes und mag zu einer großen Gefahr werden. Ich habe gezögert, Ihnen diese Mittheilung früher zu machen, da ich fürchtete, daß die Demaskierung dieses Mannes mein Incognito gefährden könnte, da es nur wenige Eingeweihte gibt, von denen eine solche Auskunft stammen könnte, und der Verdacht unweigerlich bald auf mich fallen müßte. Doch ich habe nun entschieden, daß ich um des Schicksals Karolinas willen dieses Risiko für mein Leib und Leben auf mich nehme. Ich werde ihnen jenen Officier in meinem nächsten Briefe namhaft machen. Ich benötige einige Tage, da ich genauestens abzuwägen habe, welche Beweise ich Ihnen für meine Behauptungen offenbaren kann, ohne zugleich meine Identität preiszugeben. Dafür hoffe ich auf Ihr gütigstes Verständnis und verbleibe mit der allervorzüglichsten Hochachtung.
«
Bei den letzten Worten versagte ihm die Stimme und er musste mehrmals ansetzen, um sie über die Lippen zu bringen. Als er zu Ende gesprochen hatte, verfiel er für einen Moment in schwermütiges Schweigen. Krüger zeigte wenig Rücksicht für die Stimmung des Majors und fragte mit Nachdruck: »Was schließen Sie daraus?«
»Das, was Sie eigentlich auch erkennen müssten«, entgegnete Pfeyfer kalt. »Ich sehe alles klar vor mir. Hauptmann Heinze, dieser Inbegriff der Pflichterfüllung, hat auf eigene Faust, vielleicht durch günstige Gegebenheiten, Zugang zu den Kreisen erlangt, denen auch Weaver angehörte, und sich das Vertrauen dieser Leute erworben. Was er von ihnen erfuhr, gab er an mich weiter, damit ihre Pläne zunichtegemacht wurden.«
Pfeyfer faltete das Papier sorgfältig wieder zusammen und steckte es zurück in den Umschlag. »Er muss unfassbare Angst gehabt haben, enttarnt zu werden. So große Angst, dass er selbst mich nur anonym informierte. Das war verständlich, wusste er doch um die Existenz eines Verräters im Offizierskorps. Allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz muss Weaver aber das Geheimnis des Hauptmanns entdeckt haben. Er ließ ihn unter einem Vorwand hierher kommen, um ihn zu töten – und musste für seine Niedertracht zusammen mit seinem Opfer in den Tod gehen. Der Hauptmann …«
Pfeyfer stockte kurz die Stimme. Nur unter größten Anstrengungen gelang es ihm, Fassung zu bewahren. Die Vorstellung, welchen Gefahren sich Heinze freiwillig für sein Land ausgesetzt hatte und dass ihm diese Pflichttreue schließlich zum tödlichen Verhängnis wurde, zerrte an seiner Seele. Er kam sich klein und schäbig vor. Pfeyfer musste mehrmals schlucken, da er glaubte, ihm würde langsam der Hals zugeschnürt. Dann erst konnte er seinen Satz zu Ende führen: »Der Hauptmann wollte an diesem Abend diese neue Mitteilung an mich zum Briefkasten bringen. Doch vorher wurde er von Weaver ermordet. Und der Verräter, der den gleichen Offiziersrock wie ich trägt, bleibt unerkannt und kann weiterhin den Feinden Preußens in die Hände spielen.«
Krüger hatte sich einige Notizen in einem kleinen Büchlein gemacht, das er nun zuklappte und in der Innentasche seines Gehrocks verschwinden ließ. »Sie haben mit dieser Rekonstruktion der Hintergründe ganz zweifellos recht«, meinte er sachlich. »Und ich darf davon ausgehen, dass Sie nunmehr auch ihr Möglichstes tun werden, den betreffenden Offizier aufzufinden, den Ihnen der Hauptmann benennen wollte, und mich unverzüglich über jedwede Erkenntnisse ins Bild setzen.«
»Selbstverständlich werde ich das. Ihn und seine Komplizen, ohne Ausnahme«, erwiderte Pfeyfer. Es war mehr als eine bloße Entgegnung auf Krügers Worte; seine Augen loderten auf, als hätte er einen Racheschwur geleistet.
Inzwischen hatte Täubrich Heinzes Brust freigelegt und die Schusswunde untersucht.
Er knöpfte den Mantel des Toten zu und stand auf.
»Hatte der Hauptmann Angehörige?«, erkundigte er sich, während er sich mit einem Taschentuch das Blut von den Fingern wischte.
Pfeyfer nickte. »Eine Schwester, die aber vor einigen Jahren geheiratet hat und mit ihrem Ehemann nun in Bonn lebt. Ich werde ihr selbst schreiben, damit sie die traurige Nachricht nicht in den kaltherzigen Worten eines Beamten erhält.«
»Ja, das ist eine gute Idee. Oh, und würden Sie mir durch Ihre Anordnung eine Leichenschau ermöglichen?«
»Eine Leichenschau?« Pfeyfer runzelte die Stirn. »Wozu soll das gut sein? Die Todesursache steht doch eindeutig fest.«
»Nun – nennen Sie es eine unsinnige Intuition. Aber ich hege ein gewisses Misstrauen
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