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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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sich gegenseitig niedergeschossen, und man ihn daher nicht suchen wird. Er behält recht, er bleibt die ganze Zeit hier oben. Während der Schutzmann die Leichen bewacht, während ich mit Täubrich hier bin und Krüger auftaucht, während die Toten abgeholt werden. Erst als danach wieder Ruhe einkehrt, verlässt er unbehelligt und ungesehen das Lagerhaus.
    »Haben Sie gefunden, wonach Sie suchten?«, rief Healey zu ihm hinauf.
    Pfeyfer schreckte aus seinen Gedankengängen auf. »Ja … ja, ich denke schon«, antwortete er.
    Vorsichtig kletterte er über die Tabakballen wieder hinab. Er fühlte sich nicht gut.
     
    Vor der Tür packte der Schlosser sorgsam seine Werkzeuge zusammen, als die beiden Männer wieder ins Freie traten.
    »Fertig, Herr Healey«, sagte er und überreichte dem Amerikaner ein Paar maßlos reich verzierter Schlüssel, die mit ihren filigranen Ranken und Schnörkeln eher zu einem feudalen Anwesen gepasst hätten. Die Diskrepanz zwischen dem schlichten Verwendungszweck der Schlüssel und ihrem ausufernden Zierrat war so auffällig, dass Pfeyfer den Schlosser schon darauf ansprechen wollte. Aber Healey empfand das Missverhältnis offenbar auch, denn er kam ihm zuvor.
    »Sind die nicht ein wenig zu aufwendig für ein Lagerhaus?«, fragte er und betrachtete zweifelnd die Schlüssel in seiner Hand.
    »Kostet nichts zusätzlich, Herr Healey«, beruhigte ihn der Schlosser und zog den Riemen seiner Arbeitstasche zu. »Die hatte ein Plantagenbesitzer aus Georgia bei mir in Auftrag gegeben. Jetzt kann er sie nicht mehr bezahlen. Und ehe die Dinger in meiner Werkstatt Staub fangen … Ich sende Ihnen meine Rechnung zu. Habe die Ehre.«
    Der Handwerker tippte mit der Hand kurz an die Krempe seines Hutes und ging.
    »Auch für mich wird es nun Zeit, mich zu verabschieden, Herr Healey«, sagte Pfeyfer. »Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mir Ihre wertvolle Zeit geschenkt haben.«
    »Nicht halb so wertvoll, wie Sie vielleicht denken. Oh, bevor ich es vergesse – wer bezahlt denn nun eigentlich das neue Schloss? Immerhin waren es ja Ihre Polizisten, die diese Tür aufgebrochen haben.«
    »Es handelt sich nicht um meine Polizisten«, korrigierte ihn der Major. »Ich bin Militäroffizier und habe gegenwärtig nur Befehlsgewalt über die Schutzmannschaft. Aber schicken Sie die Rechnung einfach ans Polizeipräsidium. Ich werde dafür Sorge tragen, dass sie beglichen wird.«
    Nötig wäre das nicht gewesen, da nach Pfeyfers Wissen die Polizei keineswegs für einen solchen Schaden haftbar war. Doch er hatte nicht den Wunsch, im Gefolge von Heinzes Tod würdelose bürokratische Haarspaltereien zu betreiben.
    Pfeyfer verabschiedete sich von Healey und ging hinüber zu seinem Pferd. Während er die Zügel losband, versuchte er, sich über den Charakter dieses Amerikaners klar zu werden. Konnte er Mitwisser des Mordes sein? Das erschien Pfeyfer eher unwahrscheinlich; zu unsicher und harmlos kam ihm dieser Südstaatler vor, um an der Planung eines kaltblütigen Hinterhalts beteiligt zu sein. Doch andererseits mochte das auch nur eine geschickte Maskerade sein, mit der Healey ihn zu täuschen versuchte.
    Der Major stellte den linken Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. Zunächst wollte er die Straße nach rechts hinaufreiten, um endlich nach Hause zu kommen und in der Abgeschiedenheit der heimischen vier Wände diesen Tag hinter sich zu lassen. Aber dann hatte er plötzlich einen Einfall und änderte seinen Entschluss. Er straffte die Zügel und lenkte das Pferd in die linke Richtung.
     
    * * *
     
    »Ich war der Vorgesetzte des Dahingeschiedenen, gute Frau«, sagte Pfeyfer.
    Die Concierge, eine ungeheuer beleibte Mulattin, die ihr gepunktetes Kleid fast sprengte und die Wohnungstür in ganzer Breite mühelos ausfüllte, schlug die Hände zusammen. »Oh, der arme Herr Heinze«, begann sie zu klagen. »So ein guter, freundlicher Mann. Ich habe gehört, was ihm widerfahren ist. Furchtbar, ganz furchtbar! Ist es nicht grauenvoll, wie er ums Leben kam? Ach, er war immer so nett und zuvorkommend. Es ist schrecklich, so schrecklich!«
    »In der Tat, schrecklich«, pflichtete Pfeyfer ihr eilig bei, um den Schwall der durch das ganze Treppenhaus hallenden Bekundungen der Erschütterung zu beenden. »Ich würde mich gerne in seiner Wohnung umsehen. Könnten Sie mir freundlicherweise den Schlüssel geben?«
    »Aber ja, Herr Offizier. Nur einen Moment, bitte.« Sie verschwand kurz in ihrer Wohnung und kam dann mit

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