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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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einem Schlüssel zurück, den sie Pfeyfer übergab.
    Der Major bedankte sich und wollte die Treppe hinaufgehen, aber die Concierge nahm einen erneuten Anlauf, ihrer tiefen Betroffenheit über den Tod Friedrich Heinzes lautstark Ausdruck zu verleihen. Sie wurde nicht müde zu beteuern, was für ein angenehmer, netter Mensch der Verstorbene gewesen sei und wie grässlich sie die Art fand, auf die er aus dem Leben geschieden war. Der Sturzbach von Worten begann Pfeyfer zu ermüden, aber er wollte nicht unhöflich erscheinen und tat so, als würde er aufmerksam zuhören.
    »Dabei konnte doch niemandem dem Herrn Heinze etwas Böses wollen«, versicherte die Concierge. »So ein netter Mensch war er, das habe ich auch dem Herrn Notar gesagt.«
    Nun horchte Pfeyfer doch auf. »Welcher Notar?«
    »Der Notar, der heute Vormittag hier war, um das Testament aus der Wohnung zu holen. Ach, der Ärmste –«
    »Und haben Sie ihm etwa auch den Schlüssel gegeben?«, fiel Pfeyfer der Frau ins Wort.
    Sie blickte ihn irritiert an. »Ja, gewiss doch. Der Nachlass des armen Herrn Heinze muss ja geregelt werden, nicht wahr?«
    »Und wie hieß der Notar? Wie sah er aus?«
    »Ach Gott, warten Sie … nicht sehr groß war er, und er hatte einen roten Bart. Er hat sich als Herr Lenoir vorgestellt. Sehr höflich war er und …«
    Pfeyfer hatte genug gehört. Er ließ die verdutzte Concierge ohne ein weiteres Wort stehen und rannte die Treppe hinauf.
     
    Alle Schubladen waren herausgezogen und ausgeleert, sämtliche Schränke geöffnet. Die aus den Regalen gerissenen Bücher bedeckten den Boden, und selbst die Polster und Kissen waren ohne Ausnahme aufgeschlitzt. In der gesamten Wohnung war das Unterste zuoberst gekehrt.
    Pfeyfer erkannte, dass seine Gegner ihm zuvorgekommen waren. Er hatte den Gedanken gehabt, dass Heinze vielleicht Aufzeichnungen hinterlassen haben könnte, aus denen die Identität der Verschwörer oder doch wenigstens des verräterischen Offiziers hervorging. Nun musste er feststellen, dass seine Feinde auf die gleiche Idee gekommen waren, jedoch erheblich früher. Er wollte sich am liebsten ohrfeigen, weil sein Verstand nicht viel eher diesen naheliegenden Einfall hervorgebracht hatte.
    Langsam ließ er den Blick über das Chaos wandern. Dieser Lenoir, dessen Name zweifelsfrei so falsch war wie sein roter Bart, hatte ganze Arbeit geleistet. Sollte es in der Wohnung tatsächlich versteckte Aufzeichnungen Heinzes gegeben haben, dann waren sie jetzt fort. Hier hatte sich jemand zu schaffen gemacht, der sein Handwerk verstand und dem nichts entging.
    Somit stehe ich wieder ganz am Anfang,
musste Pfeyfer sich eingestehen. Er hatte nichts in Händen, keinen Fingerzeig, der ihm den Weg wies.
    Resigniert ließ er sich in einen aufgeschlitzten Sessel sacken. Was sollte er nun bloß tun?
     
    * * *
     
    Kolowrath bürstete vorsichtig den falschen roten Vollbart aus und legte ihn dann wieder an seinen Platz in den mit schwarzem Samt gefütterten Kasten, zu den übrigen Bärten, Perücken und Brillen. Zwar wusste er, dass er die Rolle des Notars perfekt verkörpert hatte, doch war es ihm eigentlich weitaus lieber, ohne Verkleidungen zu arbeiten. Der Leim, mit dem diese Bärte fixiert wurden, ekelte ihn an. Überhaupt zog er es vor, auf Masken und derartige Hilfsmittel zu verzichten, die für seinen Geschmack zu sehr an Schmierentheater erinnerten und ihn in seinem Berufsstolz kränkten.
    Nach einem letzten prüfenden Blick auf den Bart, der nun makellos gereinigt und gekämmt jederzeit für einen neuen Einsatz bereit war, schloss Kolowrath den Deckel des Kastens und lehnte sich zurück.
    Alles entwickelte sich sehr zu seiner Zufriedenheit.

28. Oktober
    Doktor Täubrich stand am Fenster seines Sprechzimmers und blickte wehmütig hinaus auf die Bucht, während er mit einem Baumwolltuch geistesabwesend das Stethoskop putzte. So in sich versunken war er, dass er überhaupt nicht bemerkte, wie sich nach einem kurzen Anklopfen die Tür öffnete und Amalie von Rheine eintrat.
    Eine Weile betrachtete sie amüsiert den gedankenverlorenen Arzt, dann räusperte sie sich. Sofort wandte Täubrich den Kopf in ihre Richtung und bekam große Augen, als er völlig unerwartet die junge Frau vor sich sah.
    »Fräulein von Rheine! Ich … Sie … Was für eine Überraschung«, sagte er erfreut, jedoch mit dem Anflug eines verwunderten Stotterns.
    »Eine angenehme, wie ich hoffe«, entgegnete Amalie lächelnd und hielt ihm die Hand entgegen. Täubrich

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