Die Fahrt des Leviathan
Befehl entsprach«, entgegnete Pfeyfer bescheiden. Natürlich erfüllte ihn die Anerkennung aus dem Munde des Thronfolgers mit unbändigem Stolz, aber das verstand er diszipliniert zu verbergen.
Die beiden Männer saßen sich im Salon der Fürstensuite im Hôtel Borussia gegenüber; Pfeyfer hatte der ausdrücklichen Einladung des Prinzen entsprechend in einem der Polstersessel Platz genommen. Dass der Prinz an diesem Tag in einen schlichten dunklen Anzug anstatt der ihm zustehenden Generalsuniform gekleidet war, hatte es dem Major ein wenig leichter gemacht, der Aufforderung nachzukommen. Von selbst hätte Pfeyfer nie im Leben gewagt, sich in Gegenwart eines Angehörigen des Königshauses zu setzen. Anfangs hatte er deswegen ein gewisses Unbehagen empfunden, doch es war in den Hintergrund getreten, als er sich voll und ganz auf seine Ausführungen konzentrieren musste.
Ohne überflüssige Weitschweifigkeiten und ohne bedeutsame Details zu unterschlagen, hatte er Prinz Friedrich ein realistisches Bild der Lage vermittelt und dabei keines der zentralen Probleme ausgelassen, mit denen sich die Provinz als indirekte Leidtragende der erbitterten Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und den abtrünnigen Südstaaten konfrontiert sah.
Der Kronprinz erhob sich von seinem Sessel. Sogleich wollte Pfeyfer aufspringen, doch der Thronfolger bedeutete ihm, Platz zu behalten. Er ging hinüber zum weit geöffneten Fenster und sah nachdenklich schweigend hinaus.
Pfeyfer war bedacht, die Gedankengänge des Prinzen durch keinerlei Geräusche oder überflüssige Regungen zu beeinträchtigen. Das fiel ihm schwerer, als er zunächst vermeinte; zwar war er als Soldat daran gewöhnt, gegebenenfalls stundenlang stillzustehen. Doch stillzusitzen erwies sich, wie er bald merkte, als ungleich komplizierter. Es gelang ihm einfach nicht.
Nachdem er eine kurze Weile versonnen ins Freie geblickt hatte, wandte sich der Kronprinz wieder vom Fenster ab. »Sie erwähnten bewusste Versuche, in Karolina Unruhe zu schüren. Können Sie mir einige Fragen hierzu beantworten, Major?«, erkundigte er sich.
»Ich werde bemüht sein, Eurer Hoheit über die Anstrengungen der NeitherNors jede gewünschte Auskunft zu geben«, versicherte Pfeyfer.
Prinz Friedrich stutzte. »NeitherNors? Ich habe diesen Begriff irgendwo schon gelesen, aber seine Bedeutung ist mir völlig entfallen.«
»Ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung. Es handelt sich um einen älteren Ausdruck, der aber in Karolina noch recht gängig ist. Er entstand, als dies noch die abtrünnige englische Kolonie South Carolina war. Zu jener Zeit widersetzten sich zahlreiche Kolonisten der Übernahme des Landes durch Preußen. Ihr Wahlspruch lautete:
Neither Frederick, nor George.
Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie weder preußische noch englische Herrschaft hinnehmen wollten. Von diesem Motto ist die Bezeichnung NeitherNors abgeleitet.«
»Aber das ist über achtzig Jahre her. Müssten selbst die Ältesten von ihnen nicht längst tot sein?«, wunderte sich der Kronprinz.
»Wir haben es mit ihren Nachfahren zu tun, Eure Hoheit«, stellte Pfeyfer richtig. »Nachdem Prinz Heinrich endgültig South Carolina für Preußen sichern konnte, wurden die führenden NeitherNors des Landes verwiesen. Andere verließen freiwillig die Provinz, da sie nicht unter preußischer Herrschaft zu leben gewillt waren. Sie ließen sich zumeist in Georgia , North Carolina und den übrigen südlichen Bundesstaaten Amerikas nieder. In vielen dieser Familien wurde der Hass auf Preußen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Noch immer verfolgen sie das Ziel, eines Tages aus Karolina wieder South Carolina zu machen.«
»Verfügen die NeitherNors über Unterstützer in Karolina?«, fragte der Kronprinz besorgt. »Als Soldat fürchte ich den Feind, der sich unerkannt in den eigenen Reihen verbirgt, wie kaum etwas anderes.«
»Ja, es gibt hier Anhänger der NeitherNors«, bestätigte Pfeyfer. »Man findet sie unter den Nachkommen jener englischen Kolonisten, die damals nicht fortgingen.«
In diesem Moment wurde dem Major bewusst, dass seine Worte den Prinzen zu einem pauschalen Verdacht gegen gut ein Viertel der Bevölkerung Kaolinas verleiten könnten. Um dieser Gefahr vorzubeugen, setzte er eilig hinzu: »Die große Mehrheit der Familien englischer Herkunft steht seit langen Jahren schon unerschütterlich treu zu Preußen, Eure Hoheit. Nur eine geringe Anzahl dieser Menschen vertritt offen
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