Die Fahrt des Leviathan
preußenfeindliche Ansichten. Somit kann auch die Zahl jener, die mit den amerikanischen NeitherNors konspirieren, nicht groß sein.«
»Konnten schon einige dieser Verschwörer ergriffen werden?«
»Diese Männer sind zu klug, um sich zu exponieren, Eure Hoheit. Und bisher ist es noch keinem von uns gelungen, in ihre Kreise einzu–«
Abrupt versagte Pfeyfer die Stimme.
Fritz war es gelungen! Er ist dafür gestorben, und ich bin dabei, seine Leistung und sein Opfer zu unterschlagen. Verflucht, ich töte ihn gerade ein zweites Mal!
Die Erkenntnis, dass er seinem toten Freund furchtbares Unrecht tat, überkam ihn wie ein Schwall eiskalten Wassers. Er war so beschämt, dass er einfach nicht weitersprechen konnte, obwohl der Prinz darauf wartete, dass er seine Ausführungen fortsetzte.
Nur die Glockenschläge der Petrikirche retteten ihn aus der peinlichen Situation. Kronprinz Friedrich blickte zu der Uhr auf dem Kaminsims und stellte erstaunt fest, dass es tatsächlich schon zwölf Uhr mittags war.
»Die Zeit fliegt«, sagte er bedauernd. »Ich muss mich leider zur Inspektion des dampfgetriebenen Wasserwerks begeben. Falls es Ihnen keine Umstände bereitet, möchte ich mich mit meinen wenigen verbliebenen Fragen ein andermal an Sie wenden.«
Pfeyfer schluckte kräftig und nahm sich zusammen, um nicht wie ein stummer Dorftrottel vor dem Thronfolger zu stehen. Es gelang ihm, die Auswirkungen seiner Verlegenheit zu überwinden, und er antwortete ohne wahrnehmbare Gemütsregung pflichtgemäß: »Ich stehe Eurer Hoheit jederzeit zur Verfügung.«
»Ich danke Ihnen, Major Pfeyfer … Aber da kommt mir doch noch etwas in den Sinn. Ich sah in der Rangliste, dass Ihr Name Wilhelm von Pfeyfer lautet. Doch Sie nennen sich schlicht Pfeyfer. Welche Gründe bewegen Sie dazu, Ihr Adelsprädikat nicht zu verwenden? Bitte sehen Sie sich nicht zu einer Antwort verpflichtet, sollte meine Frage allzu persönlicher Natur sein.«
»Keineswegs, Eure Hoheit. Es ist nur … Ich fühle mich nicht berechtigt, den Titel zu tragen. Er wurde meinem Großvater von Prinz Heinrich für seine Verdienste verliehen. Doch ich selbst habe nichts Großes vollbracht. Es erscheint mir unangemessen, mich mit einem Adelstitel zu schmücken, den ich ohne eigenes Zutun, ohne jede Leistung ererbt habe.« Pfeyfer musste daran denken, dass seine Geschwister diese Auffassung nicht teilten und sich von Skrupeln unbeschwert des Adelsprädikats bedienten. Sie hatten seine inständigen Aufforderungen, ebenfalls auf die Verwendung des Titels zu verzichten, stets nur mit Unverständnis quittiert. Der Gedanke an die Uneinsichtigkeit seiner Brüder und Schwestern stieß ihm säuerlich auf.
»Ihre Einstellung gereicht Ihnen zur Ehre. Aber sehen Sie diese Dinge nicht zu eng, Major«, empfahl ihm Prinz Friedrich.
»Jawohl, Eure Hoheit!« Pfeyfer schlug die Hacken zusammen, machte kehrt und wollte den Raum verlassen. Er hatte bereits die Tür geöffnet, als der Kronprinz sich noch bei ihm erkundigte:
»Oh, ehe Sie gehen … Haben Sie Kenntnis über ein Fräulein Rebekka Heinrich, die Leiterin der Höheren Töchterschule?«
Pfeyfer wandte sich zackig um. Er war überrascht und vermochte sich das Interesse des Kronprinzen an der renitenten Schuldirektorin nicht zu erklären, doch er antwortete unverzüglich: »Bedauerlicherweise ja, Eure Hoheit. Fräulein Heinrichs Verhalten ist ein beständiges Ärgernis. Sie neigt dazu, ihre politischen Ansichten in unziemlicher Weise an die Öffentlichkeit zu tragen, und ließ sich bis dato auch durch wiederholt ausgesprochene strengste Verwarnungen nicht von ihrem Tun abbringen. Sie kehrt heute Nachmittag von einer Reise zurück, dann werde ich sie abermals ausdrücklich ermahnen.«
»Hochinteressant … Nun aber möchte ich Sie nicht länger von der Wahrnehmung Ihrer zahlreichen Dienstpflichten abhalten. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag und versichere Sie meines Dankes, Major.«
Pfeyfer ließ nochmals die Hacken knallen, neigte kurz den Kopf und verließ den Raum.
Als er die breite Treppe zur Hotelhalle hinabging, zeigte sich ein zufriedenes Lächeln in seinen Zügen. Die Frage des Kronprinzen nach Rebekka Heinrich konnte nur bedeuten, dass diese Frau allerhöchsten Unwillen auf sich gezogen hatte. Sicher würde sie bald eine Zurechtweisung erhalten, die sie ganz und gar nicht erwartete. Doch zunächst wollte er ihr eine letzte Chance geben, sich zu besinnen. Und zwar an diesem Nachmittag.
* * *
Kolowrath
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