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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Zwischenfall war, und verabschiedete sich von Major Pfeyfer und Rebekka Heinrich, deren kalte Ablehnung er nun zu spüren vermeinte. Dann entfernte er sich mit Beaulieu , der nicht müde wurde, ihn zu beschimpfen, und sich auch durch nichts beschwichtigen ließ, in Richtung Ausgang.
    Rebekka rückte ihren Hut, der bei dem Stoß ein wenig verrutscht war, wieder gerade und dankte dem Major, dass er für sie eingetreten war.
    »Es war meine Pflicht, Fräulein Heinrich«, entgegnete er. »Genauso, wie es meine Pflicht ist, Sie zu ermahnen und ihnen ins Gedächtnis zu rufen, welches Verhalten von Ihnen erwartet wird. Ich bitte Sie nochmals, die Warnung, die ich Ihnen heute gab, nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«
    Rebekka lächelte nachsichtig. »Mein verehrter Herr Major, ich nehme Ihre Bitte zur Kenntnis. Aber handeln werde ich auch weiterhin nur so, wie ich es für richtig halte. Versuche, mich einzuschüchtern, verfangen bei mir nicht. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«
    Sie raffte ihren Rock und ging davon. Kopfschüttelnd schaute Pfeyfer ihr hinterher. Was sollte er nur mit dieser Frau anfangen? Für die Unbeirrbarkeit, mit der sie für ihre verqueren Überzeugungen einstand, konnte er ihr eine gewisse Anerkennung nicht versagen. Aber das machte es nicht angenehmer, mitansehen zu müssen, wie sie geradewegs in ihr Unglück lief.
     
    * * *
     
    Die Belustigung, die Carmen Dallmeyer anfangs noch empfunden hatte, als Rebekka Heinrich ihr den Vorfall auf dem Bahnhof schilderte, war in Empörung umgeschlagen. »Was für ein ungehobelter Rüpel«, sagte sie angewidert.
    »Schlimmer als das«, entgegnete Rebekka. »Ein Sklavenhalter.« Sie nahm sich einen der mit Zuckerguss überzogenen Kekse von dem Teller in der Mitte der Kaffeetafel.
    »Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Major Pfeyfer Sie gegen diesen grässlichen Südstaatler verteidigt hat«, stellte die Oberlehrerin fest.
    Rebekka drehte den Keks nachdenklich zwischen den Fingern. »Oh ja … wobei ich glaube, dass er diese Ironie nicht verstehen würde. Seine Ehrbegriffe erlaubten ihm gar nicht, anders zu handeln. Wie bedauerlich, dass seine unbestreitbar guten Eigenschaften durch die blinde Ergebenheit gegenüber diesem rückwärtsgewandten Staatswesen so vergeudet werden.« Sie seufzte mitleidig und verspeiste dann den Keks.
    Carmen goss ein wenig Milch in ihren Kaffee und bemerkte, während sie umrührte: »Sie dürfen nicht so hart mit dem Major ins Gericht gehen, meine Liebe. Er ist halt Soldat und kennt nur Befehl und Gehor– Oh mein Gott!«
    Sie sprang unvermittelt vom Tisch auf und verschwand im Nebenzimmer. Rebekka war verwundert über dieses Verhalten und wollte ihr etwas nachrufen. Doch da kam die Lehrerin schon wieder in den Salon zurückgeeilt und hielt einen Brief in der Hand, den sie der Direktorin überreichte. »Bei der ganzen Aufregung wegen der Sache am Bahnhof habe ich das hier ganz vergessen«, sagte sie entschuldigend. »Ein Soldat brachte es heute Vormittag. Und es sieht furchtbar wichtig aus.«
    Rebekka betrachtete den Umschlag. Tatsächlich machte das Kuvert, in makelloser Kanzlistenhandschrift an
Die Königliche Direktorin der Karolinischen Höheren Töchterschule, Demoiselle Rebekka Heinrich, Wohlgeboren
adressiert, einen äußerst bedeutsamen Eindruck. Es trug das große Provinzialwappen mit der silbernen Mondsichel auf blauem Grund, flankiert von zwei in antike Gewänder gekleideten Frauengestalten, die Borussia und Amerika personifizierten. Zunächst konnte sie sich nicht erklären, was es mit diesem offiziellen Schreiben auf sich haben mochte. Da aber fiel ihr Major Pfeyfers Warnung ein, dass sie nun mit Sanktionen von weit höherer Stelle rechnen müsse.
    Beunruhigt brach sie das Siegel auf, entfaltete den Brief und las die an sie gerichtete Mitteilung.
    »Was ist?«, fragte Carmen Dallmeyer besorgt, als Rebekkas Miene plötzlich versteinerte.
    »Der Kronprinz will mich sprechen«, antwortete die Direktorin tonlos. »Morgen Vormittag.«

7. November
    »Man hält Sie also tatsächlich für einen preußischen Geheimpolizisten. Das ist ein ganz erstaunliches und ungemein gewagtes Täuschungsmanöver!«, stellte Beaulieu anerkennend fest.
    »Es ist keineswegs so gewagt, wie es den Anschein haben mag«, entgegnete Oberst Kolowrath. »Wie Sie sich selbst überzeugen konnten, halten meine Papiere jedem Vergleich mit den Originalen stand. Keinem preußischen Beamten oder Offizier würde es je in den Sinn

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