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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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natürlichen Bestimmung der Neger für die Sklaverei Tag für Tag ad absurdum geführt wird. Eher früher als später werden die NeitherNors ihren Einfluss in Richmond geltend machen, um Karolina an sich zu reißen.«
    »Aber, aber, Demoiselle Heinrich«, beschwichtigte der Kronprinz die Direktorin mit einem nachsichtigen Lächeln. »Es ist ja wohl kaum denkbar, dass die Konföderierten hier einfallen und Karolina annektieren.«
    Rebekka blickte ihm geradewegs in die Augen und entgegnete schneidend: »Wer sollte sie daran hindern?«
    Das Lächeln des Prinzen verflog.

10. November
    Seit einer halben Stunde schon stand Healey am Sockel des Reiterstandbilds auf dem Prinzenplatz und blickte unentschlossen hinüber zum Gebäude des Korpskommandos. Er war bereits am Sonnabend den gesamten Vormittag hier gewesen und hatte sich in der ganzen Zeit nicht überwinden können, Major Pfeyfer aufzusuchen. Nun drohte auch dieser Montag ebenso zu verlaufen. Zu groß war seine Furcht, durch ein unbedachtes Wort das Missfallen des Majors zu erregen und sich dadurch den einzigen Weg zu Amalie von Rheine zu verbauen.
    Zum wohl hundertsten Mal versuchte er im Kopf präzise durchzuspielen, wie er dem Major gegenübertreten wollte. Doch je länger und angestrengter er sich bemühte, den Verlauf des Gesprächs so gewissenhaft vorauszuplanen, dass er auf jegliche Eventualitäten vorbereitet war, desto mutloser wurde er. Frustriert erkannte er, dass seine komplexen Überlegungen sämtlich auf Sand gebaut waren. Alles hing letztlich davon ab, wie Pfeyfer auf ihn zu sprechen war. Und dafür hatte er keinerlei Anhaltspunkt. Nach dem Ereignis auf dem Bahnhof mochte der Major ihn als Lakaien eines unbeherrschten Sklavenhalters sehen und ihm unverzüglich die Tür weisen. Seine Einstellung war einfach nicht vorauskalkulierbar.
    Wenn ich zu ihm gehe, mache ich vielleicht schon alles verkehrt, wenn ich mit dem falschen Gesichtsausdruck in den Raum komme,
dachte Healey verzagt. Aber was sollte er tun? Vielleicht würde er bis zum nächsten Morgen die Lösung für dieses Dilemma finden.
    Wie schon am Tag zuvor wollte er unverrichteter Dinge wieder abziehen. In diesem Moment jedoch sauste nur eine Fingerlänge vor seinen Augen etwas hinab und traf mit einem Klatschen vor seinen Füßen auf die Pflastersteine. Healey schaute zu Boden und stellte fest, dass er um Haaresbreite einem Volltreffer mit Vogeldreck entgangen war. Als er den Blick nach oben wendete, sah er, wie sich gerade eine überfütterte Taube plump auf dem erhobenen Vorderhuf des bronzenen Pferdes von Prinz Heinrich niederließ.
    »Das hätte meinem Tag die Krone aufgesetzt«, grummelte Healey.
    Er starrte die Taube giftig an, der gelangweilt dreinblickende Vogel aber zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt. Doch dafür bemerkte Healey plötzlich ein Detail an der Statue, das ihm zuvor nicht aufgefallen war. Er sah, dass der obere Rand des Sockels mit Darstellungen von allerlei Kriegsgerät verziert war. Zwischen dem in Granit gemeißelten Sammelsurium aus Kanonen, Trommeln, Säbeln und antiken Brustpanzern schlang sich ein Spruchband, auf dem in altmodisch geschwungenen Buchstaben stand:
     
    Wer sich zum Kampfe stellt, mag unterliegen,
doch wer den Kampf meidet, der unterliegt gewißlich.
     
    Healey las die Worte zweimal, dreimal und sogar ein viertes Mal in Folge. Er wusste nicht, ob sie einen Ausspruch des Prinzen Heinrich wiedergaben oder nur eine jener Weisheiten waren, die mit der Gestaltung von Denkmälern betraute Kommissionen gerne auswählen. Aber das war auch nicht wichtig. Er spürte, wie dieser schlichte Satz etwas in ihm auslöste. Er kam sich armselig und feige vor. Und er begriff.
    Er fasste sich ein Herz. Anstatt niedergeschlagen fortzutrotten, wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung und ging entschlossen, wenn auch fürchterlich nervös, auf das Portal des Korpskommandos zu.
     
    Pfeyfer fühlte sich nicht gut. In letzter Zeit schlief er schlecht und wachte morgens erschöpft und zerschlagen auf. Früher hatten ihn solche Ärgernisse nie heimgesucht, nun wurden sie zu seinem ständigen Begleiter. Die ruhelosen Nächte setzten ihm zu, und die Tage waren auch nicht besser. Allein an diesem Morgen hatte er auf seinem Schreibtisch einen Berg Berichte vorgefunden, von denen jeder einzelne angetan war, seinem übermüdeten Hirn zusätzliche Kopfschmerzen zu bereiten. Zum dritten Mal in dieser Woche waren auf einem Lagerplatz Baumwollballen verbrannt, die

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