Die Fahrt des Leviathan
niemand den nächsten Sprung ab. Hingegen können Sie statt meiner jederzeit einen anderen Offizier berufen, der mehr Eignung für dieses Kommando besitzt.«
Resigniert seufzte der Präsident. »Nun denn, wenn Sie sich durchaus nicht umstimmen lassen, werde ich wohl oder übel General Hooker zum Befehlshaber der Potomac-Armee ernennen müssen.«
»Hooker?«, rief Burnside entsetzt aus. »Um Himmels willen, jeden anderen, nur nicht Hooker! Wenn er einfach nur ein vulgärer Rüpel und Trinker wäre – doch er ist auch ein Hitzkopf, ein rücksichtsloser Draufgänger, der mit seiner unüberlegten Art nichts als Unheil anrichten würde. Diesem Mann die Potomac-Armee anzuvertrauen hieße eine Katastrophe heraufbeschwören, Mr. President!«
Mit seinem verbliebenen Auge sah Lincoln dem General ins Gesicht; sein Blick sprach Bände. Er verriet, dass ihm genau diese Kalamität seit Tagen keine Ruhe ließ. »Ich weiß«, sagte er schlicht. »Aber wenn Sie ablehnen, habe ich keinen anderen.«
Burnside stöhnte stumm. Er rang mit sich. Doch er musste sich schließlich ins Unausweichliche fügen.
»Ich nehme das Kommando an«, sagte er beklommen.
Lincoln fasste ihn am Arm und versuchte ihn aufzumuntern: »Ich danke Ihnen für Ihren Entschluss, General. Und die Nation würde in meinen Dank einstimmen.«
»Ich frage mich, was die Nation wohl in zwei Monaten zu mir sagen wird«, meinte Burnside gedämpft.
11. November
Pfeyfer verstand die Welt nicht mehr. Er hätte das Schreiben für einen schlechten Scherz gehalten, wäre da nicht die Unterschrift gewesen, die keinen Zweifel an der Echtheit des Befehls gestattete: Der Kronprinz wies ihn an, Rebekka Heinrich künftig nicht mehr zu überwachen, sich jeglicher Ermahnung der Schuldirektorin zu enthalten und nach Kräften dafür Sorge zu tragen, dass sie sich in der Äußerung ihrer Ansichten gänzlich unbehelligt fühlen könne.
Perplex legte Major Pfeyfer das Schreiben vor sich auf den Schreibtisch. Er war fest davon ausgegangen, dass der Kronprinz dieser unbelehrbaren Frau einen gehörigen Dämpfer verpassen würde. Und nun das!
Eine Erklärung für diese groteske Umkehrung der Verhältnisse fand er nicht, so sehr er seine Vorstellungskraft auch bemühte. Neigte der Allmächtige vielleicht einfach dazu, bisweilen schikanöse Streiche zu spielen?
Pfeyfer war dieser blasphemische Gedanke unangenehm. Doch wenn er hinüberblickte zu Heinzes Tisch, sah er sich in seinem Verdacht bestärkt. Dort saß nämlich ein junger Hauptmann mit rabenschwarzem, straff zurückgekämmtem Haar und einem bronzefarbenen Gesicht, dessen scharfe Züge entfernt an römische Senatorenbüsten erinnerten, und sortierte lustlos Akten. Ludwig von FliegenderSchwarzer-Adler, sein neuer Stellvertreter, war nach Pfeyfers Dafürhalten zu lässig im Auftreten, zu geschwätzig, in der Haltung völlig unmilitärisch und ganz allgemein eine Zumutung. Leider war er aber auch der älteste Sohn des Generals Adalbert von FliegenderSchwarzer-Adler.
In der Tat, Gott schien gelegentlich einen Sinn für Humor zu kultivieren, den Pfeyfer nicht teilte. Der Major kniff die Lippen zusammen und steckte das Schreiben des Kronprinzen wieder in den Umschlag zurück.
* * *
»Vielleicht können Sie mir ja erklären, was es mit diesem Telegramm auf sich hat. Mir jedenfalls ist das alles ein Rätsel«, sagte Healey ratlos.
Kolowrath, der ihm gegenüber auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, gab ihm das Papier zurück und erwiderte schulterzuckend: »Ich wüsste nicht, welche Unklarheiten hier bestehen könnten. Mr. Beaulieu s Anweisungen an Sie sind doch ganz unzweideutig.«
»Die Anweisungen schon. Aber ihr Sinn nicht«, entgegnete Healey. »Hier steht:
Nehmen Sie sich umgehend Advokaten und gründen Sie namens der Richmond-Handelsgesellschaft Reederei unter preußischer Flagge. Setzen Sie Kolowrath in Kenntnis. Eintreffe 16. für alles Weitere.
Eine Reederei? Wozu soll das gut sein, wo doch die Handelsgesellschaft kein einziges Schiff besitzt?«
»Was nicht ist, kann ja noch werden«, belehrte der Österreicher ihn mit einem undurchschaubaren Unterton. Er blickte auf die Wanduhr und erhob sich. »Ich darf mich nun empfehlen. Es gibt noch einiges zu erledigen, damit der nächste Besuch Ihres geschätzten Mr. Beaulieu zu allseitiger Zufriedenheit verläuft. Habe die Ehre.«
Kolowrath setzte sich den Zylinder auf und ging hinaus. Er ließ einen desorientierten Healey zurück, der sich immer noch fragte, wozu
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