Die Fahrt des Leviathan
er sich.
Fredericksburg, Virginia
Jefferson Davis war es unangenehm, dass die angetretenen Soldaten bei seinem Anblick in Hurrarufe ausbrachen, ihre Hüte schwenkten und ihn hochleben ließen. Nicht alleine, dass er lautstarke Kundgebungen jeglicher Art als vulgär betrachtete; er war auch fest überzeugt, dass es für das Oberhaupt einer Republik abträglich war, Jubel entgegenzunehmen. In seinen Augen sollte der Präsident eines demokratischen Staates würdevolle Zurückhaltung wahren, damit niemand in Versuchung geriet, Amt und Person gleichzusetzen.
Aber Davis wusste ebenso, dass die Begeisterung nicht wirklich ihm selbst galt. Für diese Männer war er vielmehr die Verkörperung der Sache, für die sie all die Härten auf sich nahmen, litten, kämpften und sogar zu sterben bereit waren. Daher versuchte er zu lächeln, als er an General Lees Seite die Reihen der immer neue Hochrufe ausbringenden zerlumpten Soldaten entlangritt, lüftete gelegentlich den Hut und ließ sich, so hoffte er wenigstens, nicht anmerken, wie unangemessen ihm diese Rolle erschien.
Nachdem Davis die Truppen inspiziert hatte, ritt er mit Lee auf eine etwas abseits der Stellungen gelegene Anhöhe, von der aus man Fredericksburg und das Tal des Rappahannock bequem überblicken konnte. Erleichtert darüber, nicht länger dem Enthusiasmus der Soldaten ausgesetzt zu sein, ließ der Präsident sich vom General die Situation darlegen.
»Ich glaubte zunächst, Burnside versuchte ein recht ungeschicktes Täuschungsmanöver«, sagte der graubärtige General, wobei er dem Präsidenten das Fernglas reichte. »Nach einer Weile aber stellte ich fest, dass es ihm ernst sein muss. Wenn Sie Ihren Blick auf das Nordufer, direkt gegenüber der Stadt richten wollen, Mr. President.«
Davis setzte das Fernglas an und betrachtete die Gegend, auf die Lee ihn hingewiesen hatte. Tatsächlich lagen dort in langen Reihen Dutzende von Pontons und hoch aufgeschichtete Stapel dicker Holzbohlen bereit. Zugleich waren an den Uferböschungen Scharen blau uniformierter Unionssoldaten damit beschäftigt, Pfähle in den schlammigen Grund zu rammen, an denen später die schwimmenden Brücken verankert werden sollten.
Fast wollte Davis seinen Augen nicht trauen. Aber das Szenario war ganz eindeutig. Der Präsident ließ das Glas sinken. »Burnside will doch wirklich dort über den Fluss gehen und frontal angreifen«, stellte er verblüfft fest.
»Seine Vorbereitungen lassen keinen anderen Schluss zu, Mr. President«, meinte Lee und tätschelte dabei beruhigend den Hals seines Hengstes Traveller, der ein wenig unruhig war. Fast schien es, als würde das Pferd die Tragödie wittern, die diesem Ort vorbestimmt war. »Ich kann mir nicht erklären, was Burnside, der es doch besser wissen sollte, zu diesem törichten Vorgehen bewegt. Wenn er die Potomac-Armee auf diese Seite gebracht hat – und ich habe nicht vor, ihm das zu verwehren –, dann wird er seine Regimenter gegen unsere befestigten Stellungen oberhalb der Stadt führen müssen. Fast eine Meile über freies Feld, auf dem sie schutzlos unserem Feuer ausgesetzt sind. Bei Gott dem Allmächtigen, er kann das Gelände, unsere Stellungen, einfach alles von dort drüben sehen! Erkennt er denn nicht, dass er auf diese Weise Tausende in den sicheren Untergang schicken und dennoch nichts erreichen wird?«
Mühsam schluckte Davis; sein Hals war ihm eng geworden, als er sich vorstellte, was hier unvermeidlich geschehen würde. Selbst ihn erschütterte der Gedanke an das kommende Massaker. Nicht einmal Yankees, mochten sie auch angetreten sein, die Freiheit und die nobelsten Werte des Südens mit Füßen zu treten, verdienten seiner Ansicht nach, so in den Tod getrieben zu werden.
»Sie werden sie zurückschlagen, General?«, fragte Davis mit belegter Stimme.
»Sie haben keine Chance«, bestätigte Lee bedrückt.
Davis nickte. »Gut. Lassen Sie uns zurückkehren. Es gibt eine Angelegenheit von allergrößter Wichtigkeit, die ich mit Ihnen besprechen muss.«
»Das alles klingt vielversprechend, Mr. President. Aber auch, wenn Sie mir diese Offenheit gestatten, recht phantastisch«, urteilte General Lee, nachdem er aufmerksam Jefferson Davis’ Ausführungen gefolgt war.
Die beiden Männer saßen sich im beengten Zelt des Generals beim diffusen Schein einer über ihren Köpfen hängenden Petroleumlampe auf
knarrenden Faltstühlen gegenüber. Die Nacht war bereits hereingebrochen und der rastlose Lärm, der tagsüber das
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