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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Lager erfüllte, war verklungen. So vollkommen war die Stille, dass man ohne die gelegentlichen Rufe der Wachposten leicht hätte glauben können, außerhalb des Zeltes existiere keine Welt mehr.
    »Ich kann Ihre Skepsis verstehen, General. Und dennoch, es handelt sich beileibe um kein Luftschloss, sondern um Realität. Um ein Projekt, das uns in die Lage versetzen wird, mit Gottes Segen und Ihrer Feldherrenkunst unsere Nation zu retten«, gab Davis zu verstehen.
    Lee räusperte sich. »Vergeben Sie mir, Mr. President, falls ich den Anschein erweckt haben sollte, Ihre Worte in Zweifel zu ziehen. Dies war keineswegs meine Intention. Es ist nur …« Er zögerte kurz und fuhr dann fort, jede Silbe sorgfältig abwägend: »Dass Österreich uns diese Hilfe zukommen lässt und im Gegenzug nichts weiter erwartet, als dass die Konföderation künftig dem neuen Kaiser von Mexiko beistehen möge, befremdet mich. Ich will gewiss nicht schlecht von unseren unerwarteten neuen Verbündeten sprechen. Doch solche schon an Selbstlosigkeit grenzende politische Genügsamkeit war noch nie ein Charakteristikum Österreichs.«
    »Nun – es ist denkbar, dass Österreich, ein weitergehendes Kalkül verfolgt«, reagierte Davis ausweichend, um dann sogleich die Richtung des Gesprächs umzulenken: »Es ist aber auch nicht an uns, die Absichten unseres Alliierten ergründen zu wollen. Wir haben jetzt nur die Pflicht, bestmöglichen Gebrauch von dieser einzigartigen Gelegenheit zu machen.«
    »Das ist absolut richtig, Mr. President«, stimmte Lee zu, nunmehr überzeugt.
    »Welche Möglichkeiten sehen Sie, mit der vollständig neu ausgerüsteten Nordvirginia-Armee einen kriegsentscheidenden Schlag zu führen?«
    »Ich beabsichtige schon seit geraumer Zeit, einen erneuten Vorstoß in das Gebiet unseres Gegners durchzuführen«, eröffnete ihm Lee, seiner Gewohnheit entsprechend den Ausdruck Feind vermeidend. »Mit der enorm gesteigerten Kampfkraft, die uns durch die Lieferungen Österreichs zuteil wird, stünde der Erfolg eines solchen Feldzugs außer Frage.«
    »Wie sieht Ihr Plan aus, General?«
    »Ich habe vor, in einem günstigen Moment die Nordvirginia-Armee unbemerkt über den Potomac zu bringen, um dann geschwind durch Maryland nordwärts vorzustoßen, tief nach Pennsylvania hinein.«
    »Wer immer dann gerade den Befehl über die Potomac-Armee innehat, wird dabei aber nicht tatenlos zusehen, sondern Ihnen nachsetzen«, gab Davis zu bedenken.
    »Das soll er auch«, entgegnete Lee. »Er wird hektisch versuchen, uns aufzuspüren und mit seiner schwerfälligen Streitmacht zu stellen. Und ich werde ihn auf einem Schlachtfeld meiner Wahl zum Angriff nötigen. Dass wir aus dieser Begegnung als Sieger hervorgehen, halte ich für unzweifelhaft. Die Nordvirginia-Armee ist ohnehin exzellent und von großartigem Kampfgeist beseelt. Mit der neuen Ausrüstung wird sie unter Idealbedingungen antreten und der Potomac-Armee eine vollkommene Niederlage zufügen.«
    Davis nickte und rieb sich die Schläfen. Er spürte, wie sich durch schleichend anschwellende Kopfschmerzen ein neues Hereinbrechen der Krankheit ankündigte. Seitdem ihn während des Krieges gegen Mexiko fünfzehn Jahre zuvor ein tückisches Leiden mit Fieber und Schweißausbrüchen niedergestreckt hatte, war er nie wieder ganz gesund gewesen. Es kostete ihn viel Mühe, vor seiner Umgebung das wahre Ausmaß seiner ständigen Qualen verborgen zu halten, um sich nicht dem Verdacht der Wehleidigkeit aussetzen zu müssen.
    »Und nach dem Sieg schwenken Sie ostwärts und bedrohen Washington von Norden her«, versuchte der Präsident, den Plan des General logisch fortzuführen.
    »So verlockend diese Option sein mag, ich ziehe sie nicht in Erwägung. Der Festungsgürtel um die Hauptstadt würde einen solchen Angriff zu einem unvertretbaren Wagnis machen«, verneinte Lee. »Es gibt lohnendere, gänzlich unverteidigte Ziele. Wir können die Industriegebiete Pennsylvanias oder New York zum Ziel nehmen. Praktisch der gesamte Norden stünde uns offen. Aber es wird gewiss nicht zum Äußersten kommen. Schon alleine, dass wir so weit in sicher geglaubtes Unionsgebiet vordringen können, wird eine verheerende Wirkung auf die öffentliche Meinung im Norden haben. So laut werden die Rufe nach einem schnellen Friedensschluss sein, dass Mr. Lincoln sie unmöglich ignorieren kann. Und das bedeutet die Anerkennung der Konföderation.«
    Präsident Davis sprach dem General seine Anerkennung für den Plan aus und

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