Die Fahrt des Leviathan
stimmte ohne Einschränkungen zu. Nachdem er sich noch einige zusätzliche Einzelheiten des Vorhabens ausführlicher hatte erläutern lassen, bat er um eine Aufstellung der Dinge, die Österreich liefern sollte.
»Auf jeden Fall Gewehre und Munition«, gab der General zur Antwort . »Viele meiner Männer ziehen ohne Waffen ins Gefecht und müssen die Gewehre ihrer gefallenen Kameraden an sich nehmen. Und ebenso dringend benötigen wir Schuhe.«
Jefferson Davis wusste genau, was Lee meinte. Er hatte heute die Soldaten gesehen, die mit zerfallenden Lederresten, um die Füße gewickelten Lumpen oder völlig barfuß ihren Dienst taten. Sie mussten Schuhe bekommen. Wenn die marschierende Armee die Straßen Marylands und Pennsylvanias rot vom Blut zerschundener Füße hinter sich zurücklassen musste, stand der gesamte Feldzug auf der Kippe.
»Selbstverständlich, das halte ich auch für unverzichtbar«, versicherte der Präsident. »Wie viele Schuhe brauchen Sie für die Armee?«
»Mindestens hunderttausend Paar stabiler Stiefel.«
»Ich werde Ihre Wünsche übermitteln lassen. An den Schuhen soll der Sieg der gerechten Sache, der wir uns verschrieben haben, nicht scheitern, General«, versprach Davis.
Robert E. Lee sah dem Präsidenten direkt in die Augen und sein Blick veränderte sich dabei. In den Ernst mengte sich eine Mischung aus Kummer und unergründlicher Verlorenheit. »Mr. President, auf dass Sie mich recht verstehen: Ich betrachte die Sezession als verfassungswidrig und Sklaverei als Sünde gegen Gottes Gebote. Ich bin hier, weil Ehre und Gewissen mir verboten haben, meinem Heimatstaat Virginia mein Schwert zu versagen oder es gar gegen ihn zu erheben. Weil Virginia sich der Konföderation anschloss, tat ich dasselbe. Aber ich kann nichts von dem gutheißen, wofür die Konföderation steht.«
Das Geständnis des besten Heerführers der Südstaaten traf Davis unvorbereitet. Betreten suchte er nach Worten, um schließlich zu erwidern: »Ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit. Eine selten werdende Tugend in diesen Zeiten.«
»Und ich danke Ihnen dafür, dass Sie meine Offenheit ohne Groll aufnehmen«, sagte Lee. »Es ist leider wahr, man trifft heutzutage nur noch wenige Menschen, welche die Wahrheit sagen. Der Krieg ist vielleicht der Vater vieler Dinge, doch er ist mit Sicherheit der Totengräber der Ehrlichkeit.«
Verlegen wich Jefferson Davis dem Blick des Generals aus.
25. November
Pfeyfer hastete die Treppe hinab. Mit jedem Schritt nahm er zwei Stufen und schnallte sich zugleich das Degenkoppel um. Nicht eine Sekunde durfte er verlieren. Jeder vertane Augenblick konnte schreckliche Folgen haben.
»Wache raustreten!«, brüllte er schon aus dem ersten Stock hinunter ins Parterre. Seine harte Befehlsstimme hallte scharf durch das große Treppenhaus des Korpskommandos.
Von unten erscholl sofort das Rumpeln eilig zurückgestoßener Stühle und das Trampeln von Stiefelsohlen. Als Pfeyfer das Erdgeschoss erreichte, rannten die letzten Soldaten aus der Wachstube durch die Eingangshalle ins Freie und zogen sich noch im Laufen die Kinnriemen der Pickelhaube zurecht oder schlossen ihre Uniformkragen.
Vor dem Gebäude formierten sie sich unverzüglich in zwei Gliedern. Der diensthabende Korporal trat vor und wollte Pfeyfer vorschriftsgemäß Meldung machen, dass zwölf Mann vollständig angetreten und zum Befehlsempfang bereit waren. Doch für diese Prozedur hatte der Major keine Zeit. Er ließ den Korporal gar nicht erst zu Wort kommen, sondern rief nur knapp: »Mir nach! Im Laufschritt!«, und stürmte voran.
Mit den Soldaten im Schlepptau rannte er über den Prinzenplatz. Er musste schleunigst zur Kreuzung von Markgraf-Friedrich-Straße und Mohrenallee gelangen. Und er musste dort sein, ehe die beiden Aufmärsche, die sich aufeinander zubewegten, dort zusammenprallten. Ein völlig konfuser Schutzmann hatte ihm die Meldung überbracht, dass sich zwei Menschenansammlungen von jeweils nahezu hundert Kopf Stärke gebildet hatten, die nun Parolen skandierend durch die Stadt zogen. Wo sie sich zwangsläufig treffen würden, konnte Pfeyfer mit fast mathematischer Genauigkeit vorausberechnen. Und ihm war klar, dass es zu Gewalttaten und Blutvergießen kommen konnte, vielleicht sogar zu Toten, sollte es ihm nicht gelingen, sich rechtzeitig zwischen beide Gruppen zu stellen und sie separiert zu halten, bis sich die erhitzten Gemüter abkühlten. Denn mittlerweile wusste Pfeyfer, alarmiert durch die Berichte
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