Die Fahrt nach Feuerland
der Sohn oder umgekehrt … Das war eine Vision, die geradewegs in die Hölle führte!« – Depallier atmete tief auf und ballte die Fäuste. Helena hielt den Atem an.
»Am Abend«, sagte er langsam, aber betont, »kam ich doch zu Lilliane zurück. Ich mußte einfach kommen und sie sehen. Ich habe sie mit einem Jagdmesser erstochen. – Die ganze Nacht fuhr ich dann durch, bis Marseille. Morgens um sieben saß ich in der Annahmestelle der Fremdenlegion und unterschrieb den Verpflichtungsschein. Jetzt war ich sicher, ich war ungreifbar, ich lebte weiter. Und war doch tot!«
Er streckte die Beine von sich, griff nach der Flasche, setzte sie an die Lippen, trank sie aus und warf sie dann über Bord. »Das ist meine Geschichte! Nun wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben, meine Damen! Um hier wegzukommen, kenne ich keine Rücksichten! Ihr Glück ist, daß Sie Frauen sind. Ich kann keine Frau mehr töten. Wären Ihre Männer zuerst gekommen, dann hätten eben sie uns wegbringen müssen – nur: sie wären nicht wieder zurückgekehrt. Männer zu töten, habe ich gelernt. Das ist mein Beruf geworden. Verstehen wir uns jetzt?«
»Nein.« Lucrezia setzte sich auf die Planken und sah Maurice mit einem sonnigen Lächeln an.
»Natürlich. Alles ist klar!« sagte Helena.
»Und wenn ich mich weigere, Ihnen zu helfen, Maurice?« Lucrezia schlang die Arme um die angezogenen Beine und blickte zu Depallier empor mit jener kindlichen Verworfenheit, die Männer ratlos macht. »Was wollen Sie tun? Sie haben selbst zugegeben, daß Sie uns nicht töten können …«
»Man braucht nicht zu töten«, sagte Depallier dumpf und sah Lucrezia mit gesenktem Kopf an. »Wir haben in Afrika gelernt, wie man seinen Willen durchsetzen kann. Sie würden nie die Kraft haben, das zu überstehen. Ihre Phantasie reicht nicht aus, sich vorzustellen –«
»Dann sind Sie doch ein Satan!«
»Vielleicht. Oder ganz sicher! Ist das von Bedeutung? Sie bringen uns von hier weg. Alles andere können Sie vergessen.«
Er sprang auf, ging zum Kabinenabgang und stieg die Treppe hinunter. Dort begegnete er Mr. Plump, der an Deck wollte, um sich faul auf die Planken zu legen. Entgegen aller Erwartung regte sich Mr. Plump nicht auf, fuhr Depallier nicht an die Hosenbeine oder fletschte die Zähne. Im Gegenteil, er wedelte stumm mit dem Schwanz, sah zu ihm hoch mit seinen treuen Augen und machte sogar auf der Treppe Platz, indem er sich an die Wand stellte. Ungläubig verfolgte Helena diese harmonische Begegnung.
»Du Verräter«, sagte sie, als Mr. Plump vor ihr stand und gekrault werden wollte. »An dich habe ich wirklich nicht gedacht in dieser Situation! Natürlich – du hättest ja das Boot verteidigen müssen! Und was hast du getan? Geschwänzelt! Hast die Herren Einbrecher wahrscheinlich schon freudig begrüßt, als sie an Bord kamen! Benimmt sich so ein richtiger Bordhund? Geh weg, du Feigling! Du Judas! Pfui!«
Mr. Plump glotzte erst Helena und dann Lucrezia an und schien nicht das geringste Verständnis für die Schelte zu haben. Denn für ihn war nur der Geruch maßgebend, und für seine Nase roch Maurice Depallier gut, das Pfui war also unberechtigt und entehrend. Beleidigt wandte er sich ab und legte sich auf das Kabinendach neben den Rettungsring.
»Wenn wir in einer der nächsten Nächte lossegeln«, sagte Lucrezia leise, »werde ich rote Farbe auslaufen lassen. Ölfarbe, die schwimmt lange auf der Oberfläche. Der Hubschrauber oder die Suchboote können sie nicht übersehen. Dann haben sie eine Spur!«
»Wenn man uns noch sucht, Luzi!«
»Peer und Jan werden nicht lockerlassen! Das ist doch klar!«
»Es kommt immer darauf an, wie die Behörden entscheiden«, sagte Helena ahnungsvoll. »Vielleicht sind Peter und Jan in ein paar Tagen nur noch Rufer in der Wüste.«
Die Polizeistation von Tarrafal war zum Hauptquartier geworden. Aus Praia, der Hauptstadt, war eine Kommission mit dem Hubschrauber gekommen: ein Kommissar, zwei Unterkommissare und ein Hauptmann der Armee, der sich an Ort und Stelle überzeugen wollte, ob es ratsam sei, auch Armee-Einheiten zur Suche einzusetzen. Das war nur in Sonderfällen und nur auf höchsten Befehl möglich.
Trosky konnte die Dringlichkeit bezeugen. Er holte aus der Tasche ein Farbfoto, von dessen Existenz Losskow bisher keine Ahnung gehabt hatte. Zum ersten Mal, und sicherlich aus seiner Not heraus, gab Trosky sein Geheimnis preis.
Es war ein Foto, das er beim Training mit der Rettungsinsel gemacht
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