Die Fahrt nach Feuerland
Gesangsunterricht, weil ihr der Lehrer so gut gefiel.« Immer wieder kam Depallier auf sein Elternhaus zurück. Er schien es abgrundtief zu hassen, weil es seine Jugend mit Gold erstickt hatte.
Mr. Plump wurde ein Fall für den Hundepsychiater. Er saß bei Depallier auf dem Schoß, schlief zu seinen Füßen, leckte ihm die Hände und sah Helena so glotzäugig an, daß sie sagte: »Maurice, dieser Hund muß pervers sein. Es heißt immer, Tiere erkennen gute Menschen. Aber wie sich Mr. Plump benimmt, das ist skandalös. Sie sind ein Mörder und Hasadeur!«
»Ich bin das lebenslange Opfer einer Frau.«
»Das ist keine Entschuldigung für das, was Sie auf dem Gewissen haben.«
»Mag sein.« Depallier baute die Schachfiguren auf. »Aber irgendeine Entschuldigung muß auch ein Typ wie ich haben, wenn er weiterleben will. – Helena, was spielen Sie heute?«
»Weiß!«
»Sie haben den ersten Zug. Ich werde den letzten haben – wie es sich gehört.« Er lachte verhalten. »Gewöhnen Sie sich daran, Helena, daß ich letztlich immer gewinne.«
Die nächsten zwei Tage war es dann still. Die Suche schien sich auf einen anderen Teil der Insel verlegt zu haben. Kein Hubschraubergeräusch erweckte Hoffnung, nichts mehr deutete darauf hin, daß die Suche fortgesetzt wurde. Am vierten Tag kam starker Wind auf, die Wellen rollten nun auch in die Höhle, in den zerrissenen Lavafelsen pfiff und heulte der Sturm, meterhohe Brecher donnerten gegen den Eingang, die Helu begann gefährlich zu rollen und kam den zerklüfteten Bimswänden bedenklich nahe. Helena warf noch einen Anker, legte alle Fender aus, um einen möglichen Aufprall abzufangen, und hob dann vollkommen hilflos beide Arme.
»Mehr kann ich nicht tun, Maurice!«
»Dieser Sturm ist Gold wert!« sagte Depallier zufrieden.
»Auch wenn er uns gegen die Felswand schleudert?«
»Das wird er nicht. Silva und ich werden die Nachtwache halten.« Er grinste breit. »Können Sie sich vorstellen, was mit uns passierte, wenn wir jetzt draußen wären? Auf See?«
»Und ob ich das kann!«
»Genauso denken jetzt auch unsere Jäger: Diesen Sturm haben sie nicht überlebt! Die Helu ist abgesoffen! Schluß mit der Suche! Etwas Besseres als dieses Unwetter konnte uns gar nicht passieren. Man wird uns abschreiben.«
»So ist es!« sagte Helena ruhig. Er weiß nicht, daß die Helu unsinkbar ist, dachte sie zufrieden. Ein Orkan wirft uns nicht um, da muß schon der ganze Rumpf zerbersten! Alles, was er jetzt tut, wird von der Überzeugung bestimmt sein, daß man uns aufgegeben hat. Und deshalb wird alles falsch sein, was er tut. Er wiegt sich in Sicherheit, man sollte ihn darin bestärken. »Vielleicht kann man uns wirklich abschreiben, wenn der Sturm noch toller wird«, sagte sie.
Die Nacht war dramatisch. Keiner schlief. Sie standen alle an Deck, an den Fendern, Stangen in den Händen, um die gegen die Felswand treibende Helu immer wieder abzustoßen. Die Anker nutzten wenig, das Wasser kreiselte in dem Höhlenbecken, mal trieb das Boot nach links, dann nach rechts, dann über die Anker hinaus. Über ihnen, in den zerklüfteten Lavafelsen, in dem durchlöcherten Bimsgestein, das einst in unvorstellbarer Vulkanhitze ausgeglüht, aus dem Erdinneren geschleudert worden und dann im Meer zu bizarren Gebilden erstarrt war, raste und kreischte der Wind. Die Höhle wirkte wie ein Trichter, der die Töne noch verstärkte wie ein Megaphon und sie gleichsam durch den Eingang hinausstieß, wo sie auf die donnernden Wellen trafen, auf einen Ozean, der seine Wassermassen gegen das Land schleuderte, das ihm im Wege war.
Es war eine höllische Nacht, aus der es kein Entrinnen gab, keinen Schutz, nur die Hoffnung, daß es gelingen würde, das Boot vor dem Zerschellen zu bewahren und damit vielleicht sogar das eigene Leben zu retten.
Gegen Morgen ließ der Sturm nach. Erschöpft lagen Lucrezia und Mr. Plump auf ihrem Kojenbett, Helena kochte einen großen Kessel voll Tee, Jorge Silva hockte am Bug und sprach ein Gebet, was bei einem solchen Gauner einigermaßen verwunderlich war; er bekreuzigte sich und hielt sein kleines, goldenes Halskreuz dem sich beruhigenden Meer entgegen. Maurice Depallier kontrollierte noch einmal die Anker und die Fender, tappte dann unter Deck, warf sich auf die Polsterbank und beobachtete Helena, wie sie den Tee aufgoß und aus einem Wandschrank eine Flasche Rum holte. Wie Depallier war sie völlig durchnäßt, trotz des Ölzeugs, das sie seit fast vierzig Stunden
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