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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht. Mit geschlossenen Augen spulte er gleichsam noch einmal den Film seines Lebens ab.
    »Man muß die Familie Depallier kennen, um zu verstehen, was noch alles kommt. Die Depalliers waren und sind eine reiche Familie, aber irgendwo, in einer geheimen Ecke ihres Ichs, sind sie irre. Die Umwelt erkennt es nicht, und wenn sich die Leute gelegentlich wundern, dann sagen sie nachsichtig: Na ja, so sind eben die da oben! Können sich's ja leisten. Die Reichen sind alle verrückt. Wovon soll schließlich die Boulevardpresse leben? Aber in Wirklichkeit spielen sich da Tragödien ab, glauben Sie mir, Helena. Auch mit Lilliane kam es zur Tragödie. Meine Mutter leistete sich einen Geliebten, einen Grafen, dessen Leistung darin bestand, daß er seinen Hut aus drei Meter Entfernung an die Garderobe warf und immer den Haken traf. Das machte er immer wieder und bei allen Leuten, man nannte ihn deshalb auch Comte de Chapeau. Seine zweite Qualität mußte sich wohl auf der Matratze erweisen; ich habe meine Mutter nie danach gefragt. Meine ältere Schwester züchtete Schlangen. Sie hören richtig! An unsere Villa wurde extra ein Schlangenhaus angebaut. Dort saß Tag und Nacht meine Schwester vor den gläsernen Becken und beobachtete diese Viecher mit verzückten Augen. Mein Bruder Raymond fuhr Rallyes, aber nur mit einem rosa lackierten Wagen und einem Schwulen als Beifahrer. Seine Siegesfeiern waren berüchtigt, ich möchte jetzt nicht davon erzählen. Heute ist er durch einen Unfall gelähmt, lebt in Marokko in einem kleinen maurischen Palast und hält sich ein Nacktballett, natürlich nur Jünglinge! Meine jüngere Schwester ist mit einem Rockmusiker durchgebrannt. Seitdem ist sie verschollen. Und Papa Jérôme Depallier, der große Patriarch? Der hat natürlich auch seine Geliebte, obwohl er zur Stütze schon einen Stock braucht. In diesem Irrenhaus meiner Familie lernte ich durch Zufall Lilliane kennen. Sie war die Geliebte meines Vaters! – Cheerio!«
    Depallier beugte sich vor und trank den Becher wiederum in einem Zug aus. Dabei sah er Helena und Lucrezia an, wie ein Schauspieler, der den Applaus erwartet. »Langweilt's euch?«
    »Jetzt wird's interessant«, sagte Lucrezia und rekelte sich wohlig. »Papa klopft mit dem Stock dem Söhnchen auf den Kopf.«
    »Ich war nach der ersten Begegnung mit Lilliane wie betrunken …«
    »Auch ich sehe sie vor mir …«, sagte Helena leise. »Ein Teufel mit sonnengoldenen Haaren.«
    Maurice lehnte sich wieder weit zurück.
    »Ein Teufel? Sie übertreiben! Lilliane wurde von dem Reichtum geblendet, in den sie plötzlich hineingeriet. Erst kleine Näherin in der Hosenabteilung von Depallier, zu Hause den nach Blut stinkenden Vater, die immer besoffene Mutter, und dann, buchstäblich über Nacht der Glanz einer Traumwelt. So mußte unser Leben in den Augen dieses Mädchens ja erscheinen. Eine herrliche Wohnung auf dem Boulevard Hausmann, ein Sportwagen aus Italien, Schmuck, Pelze, Modellkleider, handgemachte Schuhe – mein Papa hatte offene Taschen bei so schönen offenen Schenkeln! Voilà, das war nun Lilliane. Ich lernte sie bei einem Rennen in Longchamps kennen, wirklich zufällig, ohne zu wissen, daß mein Patriarch derjenige war, der diese Schönheit mit Gold überpuderte. Drei Tage später, genau um die Mittagszeit, wurde Lilliane meine Geliebte. Auch ich hatte offene Taschen, ich war ja zu einem Wahnsinnigen in ihren Armen geworden, und der blonde Engel kassierte doppelt. Die Hälfte der Familie Depallier gehörte jetzt ihr. Aber ich wußte das nicht! Sie teilte ihre Zeit immer so ökonomisch ein, daß Vater und Sohn nie in Bedrängnis kamen. Bis zu jenem 23. September! Ich hatte mir einen neuen Wagen gekauft und wollte ihn Lilliane stolz vorführen, ohne Verabredung, zu ungewohnter Zeit. Wen treffe ich in der Wohnung? Mit hellblauen Unterhosen, sonst nackt, auf seinen Stock gestützt, eine fürchterliche Karikatur von Mann, zum Weinen komisch? Meinen Vater. ›Ich habe es geahnt, daß hier noch ein anderer Kerl ist!‹ schrie er sofort. ›Mein eigener Sohn! Das übertrifft alles! Du erbärmlicher Scheißkerl!‹ – Er wollte mich mit seinem Stock schlagen, aber ich verließ sofort die Wohnung. Lilliane hörte ich schreien: ›Bleib, Maurice, bleib!‹ – Aber ich rannte fort, raste durch die Straßen, nun wirklich irre geworden. Mein Engel und mein Vater – allein der Gedanke, die Vorstellung, sie zusammen im Bett zu sehen, vielleicht am gleichen Tag – erst der Papa, dann

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