Die Fahrt nach Feuerland
Wieder der neue Kurs. Du bist ein sturer Hund, Peer! Wenn das so weitergeht, kommen wir nie nach Feuerland.«
»Ich werde das Ruder jetzt nicht mehr aus der Hand geben!«
»Für immer?« fragte Trosky voller Spott.
»Ja.«
»Das hältst du achtundvierzig Stunden aus! Dann kippst du um! Superman gibt's nur im Kino!«
»In achtundvierzig Stunden bin ich auf der Schiffahrtslinie.«
»Möglich.« Trosky setzte sich auf eine Taurolle neben dem Kunststoffkasten mit der Rettungsinsel. Er zog seinen Pullover aus und dehnte den muskulösen Oberkörper in der Sonne. Ohne Zweifel, er ist stärker als ich, dachte Losskow. Deshalb muß ich warten, bis andere mir helfen können. Allein bekomme ich ihn nie von Bord. »Wir sollten einen Kompromiß finden, Käpt'n.«
»Bei Kokain gibt es keinen Kompromiß mehr.«
»Ich bin kein Süchtiger!«
»Warum nimmst du es dann?«
»Das ist wieder eine Geschichte, die nach Prag geht. Ich war Student, als 1968 die Russen unser Land überfielen und unter den Augen der übrigen Welt unseren Drang nach Freiheit mit Panzern und Maschinengewehren zusammenschossen. Damals gehörte ich einer Widerstandsgruppe an, die in den böhmischen Wäldern lag und den sowjetischen Nachschub sabotierte. Mehr konnten wir ja nicht machen, die Welt hatte uns ja allein gelassen. Sie waren ja alle wie die Kaninchen, wie gelähmt vor der russischen Riesenschlange. Nur wir Studenten gaben nicht auf, kleine versprengte Gruppen. Wir hausten in Erdhöhlen und Felsspalten und praktizierten das, was die Sowjets immer als große Heldentat hinstellten, wenn sie es selbst taten: Wir waren Partisanen! Kannst du dir das vorstellen, dieses Leben in den Wäldern? Freiwild für jeden. Abschußobjekte. Da flattern die Nerven bei jedem Geräusch. Und da brachte eines Tages jemand aus Prag einen Lederbeutel mit weißem Pulver mit. Kokain. Woher er das hatte? Wir haben nie gefragt. Und keiner wollte es. Bis ich, als erster, eine Prise nahm. Es war ungeheuerlich. Ich wurde mutig wie ein Tiger. Aber ich wußte auch ganz genau: Wenn du an diesem Gift hängenbleibst, gehst du jämmerlich vor die Hunde. Du wirst sein Sklave, keiner rettet dich mehr, dein Gehirn wird paralysiert. Das kurze Hochgefühl bezahlst du teuer: mit schleichendem Zerfall.« Trosky spuckte über Bord, als habe er noch das komische Gefühl von damals im Hals. »Ich hatte die Kraft, davon loszukommen. Als unsere Gruppe sich auflöste und wir als brave Studiker nach Prag zurückkehrten, weil unser Land durch uns nicht mehr zu retten war, habe ich den Schnee in den Lokus gespült. Ich habe ihn nicht vermißt – bis ich zu euch kam. Da wußte ich, ich würde ihn wieder brauchen. In Hamburg war es kein Problem, an das Zeug zu kommen.« Trosky grinste schief. »Ich sehe massiver aus, als ich bin. Und ich verspreche dir, daß ich die Hände davonlasse, wenn wir am Ziel sind. Das ist der Kompromiß.«
»Bis wir Kap Horn umrundet haben und in Ushuaia an Land gehen, hast du hier die Hölle mobil gemacht! Das will ich verhindern.«
»Gebt mir was zu tun!« sagte Trosky. Seine Stimme klang plötzlich brüchig. »Irgend etwas Nützliches. Die klimatologischen Untersuchungen sind doch ein Witz, genau wie Luzis Tiefsee-Mikroben! Ich will etwas Handfestes haben, ich will etwas angreifen können. Hier gibt es doch Haie?«
»Ich glaube, ja. Hier noch. Später kommen wir in Wal-Gebiete.«
»Dann laß uns einen Wal schlachten. Einen Riesenwal! Ich will ihn zerstückeln, zu Gulasch machen. Das wäre eine gute Aufgabe!«
»Fang dir einen!« sagte Losskow heiser. Troskys mit diesem Satz enthüllte Mordlust schnürte ihm die Kehle zu. Ich muß an Land oder ein Schiff finden, dachte er. So schnell wie möglich. Wieviel Meilen machen wir bei diesem guten Wind? Er ist aufgefrischt auf 35 Knoten. Er kann bald auf 40 Knoten kommen. Das können gut 1.000 Meilen in sieben Tagen werden.
Du lieber Himmel, was sind 1.000 Meilen? Wenn der Wind so anhält, liegen noch vier Wochen vor uns. Aber er wird nicht anhalten. Er wird abflauen oder zum Sturm werden. In beiden Fällen verlieren wir Zeit, werden abgetrieben. Man muß mit sechs Wochen rechnen.
Sechs Wochen noch mit Trosky zusammen? Sechs Wochen nur Wasser um uns. In einer kleinen Kajüte leben müssen mit einem Menschen, der sich nach dem Zerstückeln eines Wals sehnt?
Als könne Trosky Gedanken lesen, sagte er ruhig: »Wir machen gerade 9 Knoten Fahrt. Gut, was? Man muß auch für Kleinigkeiten dankbar sein.«
Losskow antwortete
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