Die Falken Gottes
nicht eher beisetzen solle, bis sie mit ihm begraben werden konnte.«
Anneke lauschte aufmerksam dieser recht persönlichen Schilderung der Königin, die über das groteske Verhalten ihrer Mutter so ungerührt sprach, als wäre das Geschehene |233| nur eine völlig belanglose Anekdote aus ihrer Kindheit.
»Verzeiht, Majestät, aber das klingt, als hätte Eure Mutter den Verstand verloren.«
Christinas Miene zeigte keine Reaktion. »Sie hat meinen Vater abgöttisch geliebt. Ich erinnere mich daran, daß sie jedesmal in Tränen ausbrach, wenn er ohne sie das Land verließ. Als die Nachricht seines Todes eintraf, hat sie stundenlang nur geschrien. Und du mußt wissen, meine Mutter hatte eine kräftige Stimme. Sein Verlust trieb sie in den Wahnsinn. Sie ließ die goldene Kapsel, in der das Herz meines Vaters verwahrt wurde, über ihrem Bett anbringen und verhängte die Fenster der Totenkammer mit schwarzen Tüchern. Jeden Morgen mußte ich sie an den Sarg begleiten und mitansehen, wie sie ihn streichelte und herzte, während seine Leiche immer schwärzer wurde und vertrocknete.« Christina griff nach dem Wasserschlauch, der neben ihr lag, trank und schaute versonnen drein. »Ich habe meinen Vater nicht minder verehrt und geliebt, aber es widerte mich an, die maßlose Trauer meiner Mutter mitzuverfolgen. Mich zog es schon damals zu meinen Büchern und zu den Pferden. Ich haßte es, in dieser dunklen Kammer eingesperrt zu sein, in der es nur Trauer und Tränen gab. Meine Mutter hat es wohl auf eine seltsame Weise genossen, dieses Leiden zu zelebrieren, aber mir graute vor den Stunden in der Leichenkammer.«
Magnus Ohlin hatte Anneke erzählt, daß die Königin nur wenige Jahre älter war als sie. Der Tod des Schwedenkönigs lag fünfzehn Jahre zurück. Anneke rechnete sich aus, daß Christina nicht älter als sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein konnte, als sie dieser Tortur des Trauerns ausgesetzt worden war. Konnten diese einschneidenden Erlebnisse mit der Grund dafür sein, daß sie zu dieser sperrigen Person geworden war, die mehr einem Mann denn einer Frau glich?
|234| »Was ist mit der Leiche Eures Vaters geschehen?« fragte Anneke.
»Er fand erst neunzehn Monate nach seinem Ableben zur letzten Ruhe, als der Kanzler Oxenstierna sich dem Befehl meiner Mutter widersetzte und den Sarg in der Riddarholmskirche beisetzen ließ. Meine Mutter verschaffte sich allerdings schon bald darauf Zugang zum Grabgewölbe und versuchte, zu der Leiche hinabzukriechen. Nach diesem Vorfall ließ der Kanzler die Gruft bewachen, um diese Peinlichkeiten zu verhindern. Meine Mutter hat ihm das niemals verziehen. Einige Jahre später floh sie nach Dänemark.« Königin Christina seufzte. »Seit dieser Zeit können mir die Toten keine Angst mehr machen.« Sie langte nach Karls Handgelenk und hob den Arm an. »Ihre Seelen haben das Fleisch zurückgelassen und sind emporgestiegen zu Gott oder hinab ins Purgatorium, wenn sie denn zu viele Sünden auf sich geladen haben.« Sie ließ die Hand los, die nach unten fiel und bei jedem Schwanken der Kutsche über den Boden rutschte.
Einen Moment lang befürchtete Anneke, daß die Königin sie auffordern würde, es ihr gleichzutun und ebenfalls den Toten zu berühren. So überzeugt Christina auch sein mochte, daß dieser Leib nurmehr totes Fleisch war, verspürte Anneke in dessen Nähe trotzdem großen Ekel und eine lähmende Angst.
Zum Glück wurde die Kutsche nun langsamer und hielt schließlich an. Anneke hörte, daß Malin Sörenstam und Magnus Ohlin einige Worte miteinander wechselten, dann kletterten die beiden vom Bock und öffneten die Kutschentür. Malin Sörenstam steckte den Kopf ins Innere und rümpfte angewidert die Nase.
»Himmel, welch ein Gestank«, stöhnte sie. Anneke und die Königin nutzten den Halt, um aus der Kutsche zu steigen und die frische Luft einzuatmen.
|235| Magnus Ohlin klammerte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an einem der Räder fest, während er die andere Hand auf seine Hüfte drückte. Malin Sörenstam beäugte Ohlin kühl, ließ aber auch eine gewisse Sorge erkennen.
»Es gibt ein Problem«, sagte sie. »Herr Ohlin hat es nicht für nötig gehalten, uns zu sagen, daß er bei dem Angriff auf die Kutsche eine Stichwunde erlitten hat.«
»Du liebe Zeit«, rief die Königin und trat auf Ohlin zu. Sie kniete sich vor ihn und wollte die Wunde in Augenschein nehmen, doch Ohlin, dem Christinas Fürsorge äußerst peinlich zu sein schien, wich sofort
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