Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
Zweigen. Die Schritte kamen näher. Ein Schatten begann, sich abzuzeichnen. Der Mann ging gebeugt und schlurfte fast. Er war alt. Aber irgendwie kam er der Zofe bekannt vor. Er schien kein wirkliches Ziel zu haben, sondern einfach nur so durch den Wald zu streifen. Nicht weit von ihnen entfernt stellte er sich vor eine kleine Tanne und nestelte an seiner Kleidung. Sie hörte ein leises Plätschern. Offensichtlich hatte ihn ein menschliches Bedürfnis hierhergetrieben. Als er fertig war, machte er kehrt und wandte ihnen für einen kurzen Moment das Gesicht zu. Trine unterdrückte einen Schrei. Heinrich von Weida. Wie war das möglich?
Trine tastete wieder nach ihrem Messer, dann nach dem kleinen kupfernen Kreuz, das ihr Gretchens Vater vor vielen Jahren geschenkt hatte. Die Reise nach Konstanz war zu seinem Kreuzweg geworden, und sie betete, dass es ihr nun nicht ebenso erginge. Im nächsten Moment wurde ihr warm ums Herz, ganz so, als würde sein Lächeln sie streifen. Das Gefühl, dass er von irgendwo auf sie herabsah, gab ihr neuen Mut. Sie atmete tief durch. Als sie wieder durch die Büsche spähte, war Weida verschwunden.
Zu allem entschlossen, packte sie ihr Messer, nickte Ludger zu und machte sich auf den Weg. In dem Felsengang war es pechschwarz. Trine musste sich vorwärtstasten, dennoch ging sie zielstrebig weiter.
Weida sog die eiskalte Luft in seine Lungen und war froh, dass er diesen Ort bald verlassen konnte. Der Plackerer war ein Teufel, der immer schwerer zu ertragen war. Seit klar war, dass er die fünfzig Perlen, die Margarethe als Lösegeld hätte bringen sollen, nicht bekommen würde, forderte er mit Nachdruck, dass Weida dafür einstehen müsse oder Margarethe erst einmal bei ihm bliebe. Die Lage war vertrackt. Die einzige Rettung aus dem Dilemma schien, Sachsenheim noch einmal um Hilfe zu bitten. Schließlich würde seine Braut ja auch eine ganze Weile auf der Osterburg Unterschlupf finden und damit dem Einfluss ihres Vaters fürs Erste entzogen sein. Ein wenig Zehrgeld konnte der reiche Sachsenheim da schon lockermachen. Um dies auszuhandeln, wollte Weida am nächsten Morgen zu dem Gasthof aufbrechen. Er würde Sachsenheim schon überreden, ihm zu helfen. Der Truchsess mochte zwar alt sein, dennoch konnte er dem Hofmeister gefährlich werden. Ein kleiner Hinweis darauf würde Sachsenheims Börse schon öffnen.
Trine hockte schon eine Weile vor der Holztür und lauschte. Hin und wieder schien jemand zu patrouillieren. Sie hatte versucht, den Rhythmus herauszufinden, aber es war ihr unmöglich gewesen. In der Finsternis hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Sie konnte nicht mehr länger warten. Entweder gelang es ihr jetzt, Margarethe zu befreien, oder es würde zu spät sein. Also holte sie tief Luft und schob den Schlüssel ins Schloss, das dank Ludger hervorragend geölt war. Die Tür schwang geräuschlos auf. Trine hielt den Atem an, huschte in den Gang und sah sich um. Es war niemand da. Trine bekreuzigte sich. Jetzt konnte sie jeden Beistand brauchen. Flink eilte sie den kurzen Flur entlang und die Stufen nach oben.
Der erste Stock bestand lediglich aus einer Plattform, auf der allerhand Dinge gelagert waren, sowie einer Waffenkammer mit einer kleinen Stube, in der ein Wachknecht schlief. Zwei Wachknechte gab es insgesamt. Wenig Besatzung für so eine Burg, aber ihr größter Schutz war noch immer, dass so gut wie niemand sie kannte. Im nächsten Stock gab es mehrere Räume. Einen davon bewohnte der Burgherr selbst. In den anderen schien offenbar der Vogt zu logieren. Durch die geöffnete Tür konnte Trine eine einfache Truhe mitten im Raum erkennen, auf der Männerkleidung lag. Die Zofe hielt für einen Moment inne und atmete tief durch. Sie musste ihre Kräfte einteilen. Deutlich langsamer als zuvor stieg sie die Stufen zum nächsten Stockwerk empor. Wie sie erleichtert feststellte, gab es dort keine weitere Wache.
Sie ging einen kurzen Flur entlang, bis sie schließlich an eine Tür kam, die mit einem schweren Riegel gesichert war. Das musste die Kammer sein, von der Ludger gesprochen hatte und in der Margarethe festgehalten wurde. Energisch machte sie sich daran, den Riegel beiseitezuschieben. Als sie es endlich geschafft hatte, ließ sich die Tür knarrend öffnen. Atemlos stand die Zofe in der Öffnung und sah sich um. Hier war sie zweifellos richtig. Eine Pechfackel warf ihr spärliches Licht auf einen zerbrochenen Weinkrug am Boden, Essensreste und ein zerwühltes Bett.
Weitere Kostenlose Bücher