Die Fallen von Ibex
man das Zeichen in dein Fleisch brannte, und ich habe deinen Schmerz getilgt, damit du dir keine Schande machst. Bitte, erinnere dich. Du hast mich in den Armen gehalten, als ich den Slika-sovis trank und mich bereitmachte für den Transfer-Traum. Und wir haben uns verpflichtet… uns verpflichtet…” Noch immer auf den Knien, rutschte sie näher an Shadith heran.
Aleytys spürte, wie sich die Anspannung in der Zel immer mehr verfestigte; sie erhob sich und trat zwischen sie und Shadith, und ihr war bewußt, daß sie damit den Angriff, den sie verhindern wollte, möglicherweise provozierte. „Geh nach Hause, Kind”, sagte sie.
Die Zel sprang auf, eine so blitzartige Bewegung, daß sie Aleytys völlig überraschte; sie prallte gegen sie, stieß sie zu Boden.
Aleytys fiel ungeschickt, lag rücklings ausgestreckt im Farn, und die Zel war über ihr und setzte ihr das Messer an die Kehle. „Lauf, Maslil”, kreischte Juli. „Geh. Schnell. Ich halte dieses Ding. Du!”
Sie funkelte auf Aleytys herab. „Laß sie los. Gib sie frei!”
Shadith setzte sich in Bewegung; kam über verdrehtes Wurzelwerk heran. Unter ihren Schritten knirschten Farne. Ohne Eile ging sie zu der Zel und blieb neben ihr stehen. Sie bückte sich, berührte Julis Schulter. Die Zel zitterte. Aleytys sah, wie sich ihre Augen bewegten, wie sich die Sehnen ihres Halses anspannten; dann wandte die Zel zögernd, langsam, fast gegen ihren Willen den Kopf und starrte zu Shadith hinauf.
Shadith handelte: Mit einer fließenden, jähen Heftigkeit schob sie ihren Arm um den Hals der Zel, riß ihn hoch und schleuderte die Zel nach hinten und von Aleytys weg. Mit einem geschmeidigen Sprung setzte sie ihr nach, stürzte sich auf sie und entrang ihren nachgebenden Fingern das Messer. Dann richtete sie sich auf und ging zu Aleytys. „Bist du okay?”
Aleytys stand auf, faßte sich an den Hals und verzog das Gesicht, als sie das Blut an ihren Fingern spürte.
Juli lag zitternd und geschlagen auf dem Pfad und starrte Shadith gequält an. Ihr Mund öffnete sich, die Lippen zitterten; in diesem Moment erbebte die Insel wieder und schob sich erneut ein paar Meter voran. Der Wind senkte seine Stimme zu einem tiefen Grollen, und der hintere Teil der Insel schlingerte hin und her, bäumte sich auf und schleuderte Aleytys und Shadith zu Boden.
Die Zel stieß etwas hervor, doch ihre Worte gingen im Rumoren der Insel und im zunehmenden Sturmwind unter. Sie versuchte es noch einmal, schrie beinahe: „Warum?”
Shadith stemmte sich hoch, schüttelte den Kopf, und der Sturm peitschte ihre langen Haare, kämmte sie aus der hohen Stirn zurück. Sie kam auf die Füße, balancierte einen Sekundenbruchteil lang unsicher, dann beruhigte sich die Insel vorübergehend wieder.
Shadith stampfte auf die Zel zu. Sie griff hinab, packte Julis Hand und zerrte die junge Zel trotz deren Gegenwehr hoch. „Paß auf, Zel”, stieß sie heraus und weigerte sich, ihren Namen auszusprechen, obgleich sie ihn kannte. „Deine Laska ist tot. Wie oft müssen wir dir das denn noch sagen? Wann kriegst du es endlich in deinen Dickschädel hinein? Maslil ist tot, tot, tot. Verstehst du? Der Körper gehört jetzt mir. Halte mich für einen Dämon, wenn das unbedingt sein muß, obwohl ich mit Göttern oder Magie oder irgendeiner solchen Dummheit bestimmt nichts zu tun habe… das kannst du mir glauben. Aber krieg es in deinen Schädel ‘rein, daß von Maslil nichts mehr da ist und daß wir verdammt nichts damit zu tun haben.” Sie trat zurück. „Und jetzt nimm dein Gyr und geh zu deinem Volk zurück. Aleytys hat dir die Wahrheit gesagt. Das hier ist nichts für dich.”
Die Zel biß sich auf die Unterlippe, fuhr herum, kam auf die Füße und rannte stolpernd zwischen die Bäume.
Aleytys atmete auf. „Kompli…” Die Insel schlingerte heftig, zog mit einem wilden Ruck nach vorn, blieb hängen, bewegte sich mit einem gräßlichen Mahlen weiter - und kam frei. Jetzt war da ein Gefühl der Bewegung, ein sanftes Schaukeln, und Wellen brausten und klatschten gegen den nahen Inselrand. Als Aleytys wieder auf den Füßen war und zurückschaute, wich die Küste rasch von ihnen zurück, verlassen und von der Dunkelheit des nahenden Sturms überhaucht.
Shadith kam an ihre Seite. „Sieht so aus, als würden wir auf unserer kleinen Viper sitzenbleiben.” Sie sah auf. „Angemessen düster.”
„Du bist der Inbegriff des Mitgefühls.”
„Pah. Sie hätte besser den Tatsachen ins Auge gesehen.
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