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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Arme darum geschlungen, so daß die Hände jeweils die Unterarme umklammerten; ihr Kinn war auf die Knie gestützt. Sie bot einen bemitleidenswerten Anblick, so ganz in sich selbst zurückgezogen, wie sie da saß, den Blick starr auf das Wasser gerichtet, das zu ihren Füßen vorbeiwogte. Da die Insel auf der Strömung ritt und sich nahezu mit derselben Geschwindigkeit voranbewegte wie das Wasser, gab es keine Bugwelle, nur den Hauch kleiner Strudel -der jedoch überwiegend von dem großen Schwarm silbriger Fische herrührte, der sich vor der breiten, stumpfen Inselschnauze im Wasser tummelte.
    „Juli”, sagte Aleytys. Die Fische schnellten sich auf eine Fingerlänge aus den dunklen Wasserwogen empor, unzählige, immer wieder, silbrige, schimmernde Bögen in der Luft, und das ständige Wasserprasseln, das Geräusch ihres Wiedereintauchens, das Seufzen des Windes - all das war laut genug, daß Aleytys schon glaubte, die Zel habe sie nicht gehört. Sie trat auf die mit grobem Wurzelwerk überzogene freie Fläche hinaus, erreichte das Mädchen und setzte sich neben sie; behutsam berührte sie ihren Arm.
    „Zel Juli, ich habe dir Brot mitgebracht. Du mußt hungrig sein.”
    Die Haut, die Aleytys’ Finger berührten, war kalt. Sie fühlte keine Reaktion. Die Zel wollte sie nicht bemerken, aber schließlich flammte doch ein kleiner Lebensfunke auf. Das Mädchen mußte halb verhungert sein; ihr Körper reagierte auf das Brot, das Aleytys anbot, obgleich es ihr Wille ablehnte. Die Starre lockerte sich ein wenig. Ihr Mund öffnete sich ein wenig, und ihre Zunge berührte zitternde Lippen, bevor sie sie wieder aufeinanderpreßte.
    „Es hat geregnet. Wasser findest du genügend”, fuhr Aleytys fort, darauf bedacht, jedes Wort langsam und sehr deutlich auszusprechen, um sich so ihrer Aufmerksamkeit zu versichern. Sie legte den Brotlaib auf eine Wurzel unmittelbar hinter der Zel, weit genug entfernt, daß sie sich bewegen mußte, wollte sie ihn erreichen und somit sicher genug, daß sie ihn nicht in einem Anfall von Trotz ins Meer schleudern konnte. Sie war in der Absicht hierhergekommen, die Zel mitzunehmen, ins Lager, notfalls mit Gewalt, aber jetzt entschied sie, daß es besser war, das Mädchen allein zu lassen. Kein Notfall, noch nicht. Sollten Hunger, Durst und das Wissen um ihr Ausgesetztsein noch eine Weile einwirken, sollte sie selbst zu der Überzeugung kommen, daß es das beste war, sich ihnen anzuschließen. Jeder durch sie ausgeübte Zwang würde ihren Widerstand nur verstärken. Morgen werde ich Linfyar mit Essen zu ihr schicken, beschloß sie, und plötzlich fühlte sie sich alt, sehr alt und fragte sich, ob sie die kleinere n Tragödien ihres Lebens je so intensiv durchlitten hatte … Nun, einen Liebhaber an den Tod und vermutlich Schlimmeres als den Tod zu verlieren, das war nicht gerade wenig… Aber einfach hatte sie es sich auch niemals gemacht, damals nicht, in den Jahren vor ihrer Flucht aus dem Wadi Raqsi-dian, und später auch nicht. Und überhaupt, diese Flucht - mit der sie ihr bisher schon kompliziertes Leben noch komplizierter gemacht hatte…
    Nach einem kurzen Schweigen erhob sie sich. „Du kannst Wasser und warmes Essen von uns haben, wenn du möchtest. Und du kannst dich uns anschließen, wenn dir danach zumute ist.” Sie betrachtete den starren Rücken, den von ihr abgewandten Kopf.
    Wie sehr sie doch leidet! Als sie sich aufmachte, zum Lager zurückzugehen, dachte sie daran, was dieses Kind erlitten hatte und noch erleiden mußte, und schämte sich kurz ihrer selbst. Es war so leicht, sich über dieses naive junge Ding lustig zu machen, mit schneller, kluger Logik hervorzuheben, wie dumm sie doch war, wie viel Schmerz sie sich doch selbst zufügte, doch dieser Schmerz war real und nicht von ihr verursacht. Auch nicht von mir, im Grunde genommen nicht, sondern allein von der perversen Böswilligkeit des Zufalls. Sie lächelte, schüttelte den Kopf darüber, wie schnell diese Worte doch sprudelten. Unvermittelt mußte sie an jenen Moment denken, da Stavver ihr mitteilte, daß die verrückte Maissa sie in die Sklaverei verkauft habe und mit ihrem Baby verschwunden sei. Sie blieb stehen, schloß die Hände zu Fäusten, bis ihre Nägel in die Handflächen einschnitten. Für einen Moment war sie wieder jenes Mädchen, das sie damals gewesen war, und das Gefühl des Verlusts war so frisch, als empfinde sie es gerade zum ersten Mal. Zehn Jahre waren auf einen Schlag ausgelöschtfür einen

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