Die Fallen von Ibex
schaumigen Ausläufer der Flut kitzelten ihre Zehen. Die Ekansu lebten ein stilles und ganz an den Rhythmus von Jahreszeiten und Wachstum angepaßtes Leben. Sie waren ein fröhliches Volk, und selbst die Ältesten unter ihnen besa
ßen noch eine gewisse zerbrechliche Schönheit. Dennoch mußten sie komplizierter sein als sie sich gaben; es gab Hinweise auf Dinge, die sie so geheim hielten, daß sie niemals darüber sprachen, nicht einmal untereinander. Und sie langweilten sie. Trotz der feingesponnenen Mysterien, die sie boten, langweilten sie sie. Momentan langweilte sie sich sogar selbst. Wenn sie diese ereignislose Stille noch länger ertragen mußte, würde sie anfangen zu schreien.
Wakille ließ sich neben ihr im Sand nieder und gab ihr das Fernrohr zurück. „Sieht so aus, als sei sie zu gebrauchen.”
„Gesegnet sei Madar! Noch ein Monat, und…” Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „In Ruhe und Frieden scheine ich nicht gerade zu gedeihen. Haupt hat mir einmal prophezeit, daß ich an Langeweile sterbe, sobald ich keine Probleme mehr zu knacken habe.
Ich habe ihr nicht geglaubt. Damals.”
„Hmm. Friedlich hier, aber nicht viel Profit zu machen.” Aleytys blickte nachdenklich auf das salzige Wasser hinab, das ein paar Zoll vor ihren nackten Zehen schäumte. „Die Ekansu sind gewiß eine Überraschung nach der Feindseligkeit im Landesinnern.”
„Hmm. Nicht viele Kinder.”
„Halten die Zahl niedrig, nehme ich an.”
Er schürzte die Lippen. „Du meinst, das ist alles?”
„Keine Ahnung.” Sie rieb sich die Nase. „Wahrscheinlich nicht. Nein.” Das Wort war ein langgezogener Seufzer. „Sie sterben aus.”
„Irgendwie schade.”
„Ja. Schade.”
10
An der Spitze der Landzunge zügelten sie ihre Gyori. Beutel und Körbe waren hoch auf das Lasttier und hinter jedem Reiter aufgehäuft und festgebunden, Nüsse und Nußmehl, getrocknete Fische, Knollen, Tauwerk, ein kleines Netz, flachgedrückte Fischblasen, in denen Regenwasser aufgefangen und aufbewahrt werden konnte, Hautrollen vom Dickfisch, einem riesigen, sanftmütigen Lebewesen, von den Ekansu sehr geschätzt, da sie aus der festen Haut Boote fertigen, aus dem Fleisch Fischmahlzeiten zubereiten, aus einer Gallendrüse Tinte herstellen und aus den Knochen und anderen Teilen verschiedene Gerätschaften, Medikamente und Farbstoffe gewinnen konnten. Aleytys strich unwillkürlich über ihr Haar, als sie die ungeheure Insel heranschaukeln sah. Eine gewaltige, lautlose, unaufhaltsame Masse, die alles niedermachen würde, was ihr im Wege stand. Sie hatte sich bis fast zum Stillstand verlangsamt, war aber noch nicht ganz heran. Weit vom Land entfernt, zu groß, auch, was den Tiefgang betraf; sie würde nicht näher herankommen. Wie konnte dieses Ding überhaupt schwimmen?
Sie rieb sich das Genick. Die Verfolgerin hatte sie und die Ekansu in einem weiten Bogen umrundet und veränderte seit Tagen regelmäßig ihre Position; vielleicht lief sie vor etwas davon-vielleicht vor den Zwei-sind-Eins oder etwas ganz anderem, aber sie zog sich nicht zurück, sie blieb, schien fest entschlossen, nicht wegzugehen.
Manchmal glaubte sie die Haßmusik wieder hören zu können, doch die Ekansu verrieten mit keiner Miene, ob ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen war. Auch jetzt war sie wieder da und beobachtete, diese hartnäckige Zel, eine Stechmücke, zu klein, als daß man sie sehen könnte, zu schnell, als daß man sie zerquetschen könnte. Aleytys sah zu Shadith hinüber. Sie lachte. „Muß bald aufgeben, unser Schatten.” Und damit winkte sie mit einer Hand zur Insel hinaus. „Vorausgesetzt, das Ding ist so gnädig und hält an und nimmt uns mit.”
„Mhmm.” Aleytys schaute noch einmal über die Schulter zurück, an Wakille vorbei, der einige Schwierigkeiten hatte, den Jungen festzuhalten. Linfyar konnte vor lauter Aufregung kaum stillsitzen. Sie erübrigte ein knappes Lächeln für ihn und konzentrierte sich dann ganz auf den Küstenstreifen weit hinter ihnen.
Mehrere Ekansu waren dort versammelt und beobachteten still; ein paar Kinder, ein paar aus dem Ältestenrat, mehrere jener alterslosen Erwachsenen, deren durchscheinendes Fleisch von der hellen Morgensonne in kristallisierten Honig verwandelt war. Jetzt gerieten sie in Bewegung und bildeten eine Gasse: Darin kamen die Zwei-sind-Eins, Hand in Hand, und blieben schließlich stehen und sahen zu ihr her. Sie beobachteten schweigend; ihre Gesichter waren völlig ausdruckslos, soweit
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