Die Fallen von Ibex
kontrollierte, durch das soeben bewältigte Trauma gereinigt und vergrößert, besorgten alles, was Harskari von ihr brauchte, immer weiter, ununterbrochen; die Weiche blieb gestellt; der Schirm hielt, und sie tat noch immer Dinge, die sie gestern noch nicht hätte tun können.
Irgendwann lag der Sturm hinter ihnen; irgendwann schaukelte die Insel wieder ruhig dahin, glitt sanfte Wellenkämme hinauf und gleich darauf in ebenso sanfte Wellentäler hinab, ein stetes Heben und Senken, besänftigend wie eine Kinderwiege, und die Welt rings um sie her war still, heiter, hin und wieder ein leises Rascheln von Blättern, über ihr, das Schnauben der hungrigen Gyori, die sich wieder frei bewegen wollten… Sie hielt die Weiche gestellt, bis sie aus den stampfenden Wellen heraus waren, hielt die Weiche gestellt und hielt den Schirm, und das Diadem leuchtete und sang sein vieltönendes Lied in die Stille der Hütte hinein. Irgendwann war es vorbei. Irgendwann zog sich Harskari mit einem klagenden Laut zurück. Irgendwann schnappte die Weiche in die ursprüngliche Stellung zurück. Irgendwann brach der Schutzschirm in sich zusammen. Aleytys stieß einen krächzenden Laut aus und kippte einfach um. Und das Diadem verblaßte zu einem Schemen, das Irrlichtern verschwand, das Lied verstummte.
Sie fühlte sich wie ausgebrannt, wie graue Asche; sie krümmte den Rücken, rieb fest über ihr Rückgrat. Ihr Gesicht schmerzte von diesem endlosen stummen Schrei. Sie wollte schlucken; es tat weh; ihr Mund war ausgetrocknet. Sie hustete, hielt eine Hand vor den Mund, zuckte beim Husten zusammen: Ihre Rücken- und Armmuskeln schmerzten protestierend.
Wakille und Shadith starrten sie an, Shadith besorgt, Wakille fassungslos - und vorsichtig. Jetzt hatte er Angst vor ihr, sie fühlte es flüchtig, wie im Vorbeigehen, ohne, daß sie es bewußt wahrzunehmen versucht hatte (und das erschreckte sie - nicht das Wissen selbst, sondern die Leichtigkeit, mit der sie es erwarb). Überdeckt von der Furcht gab es andere Dinge, die sie beunruhigten: Habgier und ein verschlagenes Berechnen, auf sie gerichtet. Das gefiel ihr am allerwenigsten, und sie machte sich nicht die Mühe, ihr Mißfallen zu verbergen, als sie ihn durchdringend anstarrte.
Linfyar war wach, seine Ohren flatterten, sein spitzes, kleines Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
Shadith tätschelte gedankenabwesend seine Schulter. „Ein paar Minuten lang habe ich wirklich geglaubt, du würdest dich und uns alle verbrennen”, sagte sie.
Aleytys streckte langsam die Beine aus. Sie beugte sich vor, massierte ihre Knie. „Ein Durcheinander”, erwiderte sie. „Ich möchte nicht darüber reden.” Sie schloß die Augen. „Ihr könnt
‘rausgehen; es müßte jetzt sicher genug sein. Laßt die Gyori frei.
Seht nach, wie schlimm die Verwüstungen sind, kümmert euch um die Aufräumarbeiten. Ich bin erledigt.” Sie lehnte den Kopf gegen die Flechtwand, seufzte. „Ich komme gleich nach.”
Shadith betrachtete sie einen langen Moment, kaute auf der Unterlippe herum, wie so oft, wenn sie besorgt war, dann setzte sie Linfyar hastig und ohne Umstände auf Wakilles Schoß ab und richtete sich auf. Mit einem Ruck zerrte sie an dem Strick, der die Türklappe zuhielt. Das hereindrückende Wasser hatte die Knoten aufquellen lassen, und das Reißen des Windes hatte sie festgezurrt.
Shadith brach sich einen Daumennagel ab und fluchte mit schriller Stimme. Sie zog die Zel-Klinge, die sie an der Hüfte trug, zerschlug die Stricke, schob die Klappe beiseite und kroch auf Händen und Knien hinaus.
Aleytys hörte ihren frohlockenden und erleichterten Ausruf, hörte, wie sie die ersten Schritte in den Sturmtrümmern machte und wie sie mit ihrer kräftigen jungen Stimme zu singen begann.
Sie lächelte jetzt, denn sie spürte, daß sich die Stimmung des Mädchens weiter hob. Shadith schüttelte die Verkrampfungen an Körper und Seele (entstanden durch das lange Eingesperrt- und Zusammengepferchtsein auf engstem Raum) mehr und mehr ab.
Wie sie alle hatten sie sich jäh damit abfinden müssen, daß ihr Leben vorschnell und schmählich beendet werden würde; doch für sie war dies um so schlimmer, da ihr Leben nach einer so langen Zeit gerade erst neu begonnen hatte. Das Ausmaß dessen, was vor allem sie in dieser langen Nacht und den noch längeren Morgenstunden hatte durchmachen müssen, konnte an der Heftigkeit dieser ihrer Erleichterung gemessen werden.
Linfyar war quengelig und unglücklich;
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