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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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aufzunehmen.”
    Mit einer Art stummem, entrüstetem Schnaufen schloß Harskari ihre Bernsteinaugen, und Aleytys wußte, daß das wieder einmal eine gewisse Endgültigkeit signalisierte. So schnell würde sich ihre mürrische Phantomfreundin nicht mehr heranlocken lassen.
    Aleytys starrte über die hellblauen Wogen aufs Meer hinaus; fern, unbestimmbar fern, verschmolzen sie mit dem ebenfalls hellblauen Himmel. Die Sonne wärmte ihren Rücken. Ein zarter Lufthauch zupfte an ihren Haaren, spielte über die Krümmung ihres Unterarms. Der Himmel war leer; das Meer war leer. Irgendwo Richtung Inselmitte pfiff Linfyar eine Melodie, die schließlich von Shadith aufgenommen und variiert wurde. Die Ruhe ringsum verhöhnte den Mangel an Ruhe in ihrem Innern.
    Der Rest dieses Tages und die folgenden Tage saß Aleytys auf ihrer Anhöhe und rang mit den häßlicheren Aspekten ihres Charakters; mit Haß und Zorn und Ekel vor sich selbst. Mit Angst und mit Zorn. Und mit diesem Wollen - und Doch-nicht-Wollen. Erinnerungen kamen; Erinnerungen an dargebotene und zurückgewiesene Liebe; an die vielen Zeiten, da sie verletzt und hilflos gewesen war, an die Zeiten, da sie von den anderen Kindern ihrer Mutter wegen verhöhnt worden war. Und sie hatte sich der Wahrheit dessen, was sie sagten, stellen müssen, hatte sich der Wahrheit stellen müssen, daß ihre Mutter sie zurückgelassen, im Stich gelassen hatte. Erinnerungen daran, wie sie Sharl in ihre Armbeuge geschmiegt trug. Sharl, der mit einer solch entschlossenen Hingabe an ihrer Brust trank. Sharl, den sie mit aller Qual ihrer eigenen Sehnsucht nach Liebe liebte. Ihre Sehnsucht - ihr Bedürfnis - nach Liebe.
    Sie verschränkte die Arme über ihren Brüsten und starrte ohne zu sehen auf einen mit frischem Rot überhauchten Himmel. Der Tag war vergangen, ohne daß sie es bemerkt hatte. Sehnsucht nach Liebe, Angst vor Zurückweisung. Was, wenn sie mich genau wie Kell ansieht? Mich verachtet? Zorn. Warum ist sie nicht gekommen, nachdem sie es geschafft hatte? Warum hat sie mich nicht geholt? Sie rieb sich über die Stirn. Erinnerungen an Grey… Wie er sie tröstete; sie in ihrer Zerstörungswut besänftigte. Damals, als sie zurückgekehrt war, zu Vajd, zu Sharl. Damals, als sie ihren kleinen Sohn hatte abholen wollen - und von Vajd zurückgewiesen und gezwungen worden war, das Kind zurückzulassen.
    Doch als sie ein wenig tiefer grub in ihren Erinnerungen, in dem, was sie damals gewesen war, begriff sie plötzlich, daß Grey sie damals in ihrem sehr realen Schmerz nur deshalb hatte zurückhalten können, weil sie insgeheim damit einverstanden gewesen war. Weil hinter dem Kummer auch mehr als nur ein wenig Erleichterung gewesen war. Ambivalent bis zuletzt, dachte sie. Ich habe mich nach ihm gesehnt, und ich habe gewußt, daß er eine Last für mich sein würde. Sie blinzelte in das strahlend helle Schauspiel, das ihr die untergehende Sonne bot, machte einen langen Atemzug und hielt die Luft an, bis ihr Kopf dröhnte; dann ließ sie sie langsam herausströmen. „Ich bin Shareem”, sagte sie. „Sie ist ich. Wir sind eins. Wir sind gleich. Ay-Madar.
    Sind gleich.” Sie rieb über ihr Gesicht. „Ich hab’s gewußt, es war Bestandteil des Zorns. Ich hab’ sie gehaßt - und mich. Eins so sehr wie das andere.”
    Zweiundvierzigster Tag
    Als sich der Himmel verdunkelte, stieg Shadith mit einem Topf Fischsuppe in der einen und einem Topf Cha in der anderen Hand den Hügel hinauf. Neben Aleytys stellte sie sie ins Gras. Sie zögerte, starrte auf sie hinab. „Du siehst besser aus.”
    Aleytys straffte die Schultern, drehte sich auf dem Hinterteil um. „Ich habe in meinem Kopf Frühjahrsputz gemacht. Nicht gerade spaßig, aber ich glaube, ich bin ziemlich auf den Punkt gekommen.”
    „Höchste Zeit. Wakille fängt an, lästig zu werden. Befummelt mich ein bißchen zu sehr. Noch ein paar Tage, und er bearbeitet mich mit seinen Empathen-Spezialitäten. Du weißt schon … Naja, bisher werde ich damit fertig, aber es macht mich nervös. Ich hab’
    ihm auf die Finger geklopft. Aber ich glaube, er würde sich besser benehmen, wenn du wieder da wärst. Du und Harskari, ihr habt ihm wirklich richtig Angst gemacht, ich meine, als ihr das mit dem Sturm geregelt habt.”
    Aleytys streckte sich, drückte die Beine durch, massierte ihre Knie. „Morgen früh werde ich mich mal mit ihm unterhalten. Es sei denn, es ist wirklich dringend.”
    „Er muß bloß an gewisse Dinge erinnert werden.”

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