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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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nicht beiseiteschieben konnte. Versagen. Namenlose und gestaltlose Empfindungen, ein rohes Aufsteigen von einer Art Schmerz, es war bestimmt Schmerz darin, und doch war es mehr als das. Zorn, ja, es war Zorn darin. Enttäuschung. Ein brodelndes Durcheinander, das aus den Ecken und Spalten von Körper und Geist heranströmte. Sie zitterte - nein, nichts derart Sanftes wie ein Zittern, sie wurde davon erschüttert, bis in die Grundfesten ihres Seins erschüttert, und ihre Zähne schlugen aufeinander, ihr Atem war heiser und unsicher, das Tosen des Sturmes war auf bizarre Art und Weise ausgesperrt. Sie sah Dinge im Finstern, nicht ihre Gefährten, nicht die Gesichter aus dem Diadem. Kell, das knochige Gesicht wie ein stattlicher Totenschädel, das rote Haar glatt und stumpf. Er starrte sie höhnisch an. Das Gesicht verzerrte sich, löste sich auf, bildete sich neu. Eine Frau. Ein Gesicht, das sie niemals zuvor gesehen hatte, nicht, soweit sie sich erinnern konnte. Erinnern? „Mutter!” stieß sie hervor. Das Gesicht, an das sie sich nie hatte erinnern können, nicht einmal in ihren Träumen.
    Zorn explodierte in ihr, Zorn, stärker als der Sturm, ein Zorn, der ganz auf dieses Gesicht konzentriert war; sie wollte es zerreißen, es zu Asche verbrennen. Und sie selbst war es, die brannte, die sich in Flammen wand. Sie konnte nichts mehr sehen außer diesem lächelnden, spöttischen Gesicht, nichts mehr hören außer dem Brüllen des Zornes in ihren Ohren. Gleich würde sie explodieren… dieses Gesicht, dieses Gesicht… Ein silberhelles Klingen durchdrang das Lärmen in ihrem Kopf. Es fühlte sich vertraut an, sie mußte es kennen. Ein Läuten, ein sanftes Klingen … Flackernde Helligkeit badete die Gestalten der anderen, züngelte über die Wände der Hütte. Sie sah ihre Gesichter. Shadith, mit geweiteten Augen, offenem Mund. Wakille, verschlossen, grübelnd, die Augen mit finsterer Berechnung auf sie gerichtet. Die Impulse des Feuers verzehrten sie; er zitterte, streckte die Hände aus, sie wußte, daß sie seine Abschirmung durchbrach, und er brannte mit ihr. Ihr Mund klaffte auf, sie wollte schreien, aber allein Schweigen quoll über ihre Lippen; und ihr Mund verzerrte sich, bis selbst die Augen zugedrückt wurden durch die Bündelung ihrer Gesichtsmuskeln, ein langer, schrecklicher, stummer Schrei. Und noch immer sah sie das Gesicht, das lächelnde, spöttische, schöne Gesicht, das da vor ihr schwebte, das so gleichgültig durch sie hindurchsah…
    Harskari kam aus ihrer Zurückgezogenheit, war ein Phantom, eine Präsenz in der Nähe des Zornes und kämpfte dagegen an; ergriff sie und benutzte sie, kanalisierte sie - gegen die Sturmwinde; ein Schutzschild, sanft geneigt, der die Winde von der Insel abwandte und den Regen vom Boden fernhielt. Und dennoch obwohl sie es war, der diesen Schutzschild mit Kraft versorgte, obwohl sie genau wußte, was geschah - wußte Aleytys nicht, wie es geschah; Harskari hatte übernommen; Harskari war es, die den Sog entstehen ließ, jenen Strudel, der das Wasser aus dem Boden saugte und ins Meer hinausspie, Harskari war es, die diese Kraft in Gang brachte und kontrollierte, diese Kraft, die die Erdkrumen bewegte, die dafür sorgte, daß sie sich wieder ineinanderschoben, sich verfestigten.
    Aleytys bewegte sich nicht; ließ Harskari ihren Körper benutzen und mit jenem sicheren Wissen und Können tätig sein, das sie nie aufhören konnte, ihr zu neiden, sie ließ die Alte jene Kraft formen, die sie ihr lieferte, und dabei empfand sie eine zunehmende Ruhe in sich, die sich der zunehmenden Ruhe ringsumher anzugleichen begann. Noch immer bäumte sich die Insel gegen einen lebhaften Wellengang auf, noch immer brachen gewaltige Brecher über sie herein, und noch immer ächzten halb losgerissene Bäume unter diesem Schütteln und Schlingern der Insel; die Strömung kämpfte jetzt gegen den Wind, aber die Luft ringsum war still, und die Bahn der Insel stabilisierte sich langsam zu einem gleichförmigen Dahin-schaukeln… Und dann hatte Harskari alle Zornhitze aus Aleytys entleert und griff auf jenen symbolischen Schwarzen Strom zurück. Vernunft kehrte zurück; kühles Überlegen, nicht mehr ausschließlich Fühlen; Aleytys griff jetzt ihrerseits bewußt nach diesem Dunklen Strom, kanalisierte jetzt ihrerseits dessen dunkle Wasser; mit dem ruhigen, grauen Können einer Buchhalterin, Lastschrift, Gutschrift, Lastschrift, Gutschrift, ohne jede Magie darin. Die Zuleitungen, die sie

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