Die Fallen von Ibex
hätten.”
Shadith lächelte. „So, wie die Dinge stehen: ja.”
Weitere Tropfen fielen - und versiegten nach diesem ersten kleineren Guß. Der Wind trieb in schweren Stößen heran und mit ihm der Geruch von Feuchtigkeit und Pollen und etwas Totem, das nicht allzu weit entfernt war. Shadith begann zu zittern. Nach ein paar Minuten faltete sie ihre Decke auseinander und wickelte sie um sich. Sie folgte Aleytys dichtauf durch ein kleines Labyrinth sturmgepeitschter Dornensträucher. „Wie weit mag es noch sein bis zur Straße?”
Aleytys zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich nicht mehr zu weit. Ich weiß es nicht.”
„Bald regnet es, und wir müssen jagen. Meinst du nicht, daß es besser wäre, wir würden lagern? Hier. Nicht in der Nähe der Stra
ße. Wer weiß, wer da auf uns aufmerksam wird. Wir könnten jetzt haltmachen.”
Aleytys schüttelte den Kopf. „Ich will nicht…” Der Wind riß ihre Worte mit sich und zerzauste sie, und sie machte sich nicht die Mühe, den Satz zu beenden. Obwohl Shadith weiternörgelte, hörte sie ihr nicht mehr länger zu. Irgend etwas berührte sie, weder Regen noch Wind, sondern etwas Sanftes, Vorbeistreifendes. Sie fröstelte, saugte die Unterlippe zwischen die Zähne und klammerte sich am Sattelpolster fest, als der Schmerz sie durchzuckte jäher, greller Schmerz. Dann verebbte der Schmerz und wurde zu einer verzweifelten Qual. Sie verging. Kam zurück. Verging. Kam zurück. Als werde jemand - ein projektiver Empath, vielleicht nicht allzu weit entfernt langsam und methodisch geschlagen… von einem Peiniger, der sich zwischen den einzelnen Hieben stets die Zeit nahm, sich kurz auszuruhen. In ihrem Magen wühlte eine unsichtbare Hand. Zögernd wandte sie den Kopf und ließ einen Geistfühler über das wogende, gegeneinanderschabende Gestrüpp hinausgleiten. Der Wind heulte in ihren Ohren, grobe Erdkrumen wirbelten über den Boden und prasselten durch das Gestrüpp, klatschten gegen Blätter; lauter noch als Regentropfen. Ihre Haare wurden zerzaust, nach vorn, in ihr Gesicht gekämmt. Shadith war plötzlich an ihrer Seite und berührte ihren Arm. „Was ist los?” Fünf hell lodernde Wärmequellen, vier triumphierend, eine in mitleiderregender Qual; der Ursprung dieser Schmerzwogen, die sie durchdrangen, die sie zu einem zitternden Etwas machten-und die sie nicht aussperren konnte. Sie mußte etwas tun, irgend etwas, mußte es unterbinden. „Lee!” Shadith zerrte an ihrem Arm. Sie drehte sich halb um, starrte das Mädchen an, ohne es wirklich zu sehen.
Brennen. Sie preßte die Hände auf ihre Leistengegend. Brennen.
Oy-ay Madar, das tut weh!
Sie riß sich aus dem Zugriff des Gefolterten frei, beugte sich vor, die Hände noch immer in das Sattelpolster gekrallt; sie zitterte vor Anstrengung. Wer oder was auch immer das Opfer war - ein Projektor war es auf keinen Fall, und die Peiniger mußten geschützt oder aber von Natur aus Nichtempfänger sein. Sie spürte kühle Finger; gleichzeitig zerspritzten mehrere Regentropfen auf ihrem Gesicht. Sie blickte sich um.
Shadiths Gesicht war vor Besorgnis verzerrt. „Was passiert?”
Aleytys wischte einen weiteren Schmerzstich beiseite, sah Shadith zusammenzucken. „Spürst du es auch?”
„Leicht.” Shadith umklammerte ihren Brustkorb. „Verschwinden wir. Wenn wir es weit genug hinter uns lassen…”
Aleytys riß sich von ihrer Hand los, bestürzt über diese Reaktion, die sie nicht erwartet hatte. Sie sah Shadith weiterhin an, aber sie sagte nichts.
„Oh, schon gut, Lee, tut mir leid - aber ich habe es satt…” Sie preßte die Lippen aufeinander und schaute weg.
Aleytys gab ihrem Gyr die Hacken, forschte nach den Wärmequellen vor sich und hütete sich vor den unkontrollierten Projektionen des Empathen, so gut wie dies möglich war. Gleichzeitig lauerte sie wachsam auf eine Änderung in den Auren der Peiniger, auf eine Warnung, einen Hinweis darauf, daß sie etwas gehört oder gesehen hatten, das sie auf die Gegenwart von Fremden aufmerksam machte.
Sie kamen näher. Die Ausbrüche des Gefolterten wurden stärker, fordernder, als wisse er, daß sie nahe war, und gerade so, wie ein Angler merkt, daß ein Fisch angebissen hat, merkte er das auch und holte jetzt die Leine ein und riß und zerrte dabei, um den Haken zu festigen. Auch Shadith zappelte an diesem Haken. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib; war in ein zuckendes Etwas verwandelt, war sich bewußt, was da vor sich ging, und verspürte
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