Die Fallen von Ibex
Gestrüpp, durch Schößlinge und Dornenranken vor und über sich, bis es dort genügend freien Raum gab und ringsum geschwärzte Stummel. Auch in das Gewirr über dem Straßenbelag schlug sie eine Schneise. Sie ballte die Faust, hielt die Feueraura jedoch am Leben, flüssiges Rot-Gold, das immer rundherum floß, als sie die Hand hoch über ihren Kopf erhob.
Sie trieb das Gyr an und ritt durch den jetzt ruhig gewordenen Waldtunnel, ohne Eile, wobei sie die stillen Schmerz- und Zornschreie zu ignorieren suchte, obwohl sie wie rasend auf sie einprasselten. Und dann ritt sie in graues Tageslicht hinaus und seufzte vor Erleichterung.
Jenseits des Waldes zog sich die Straße über felsigen, kahlen Boden und schlängelte sich dann zu einer Brücke hin, die ihrerseits den Fluß überspannte. Aleytys war entschlossen, dieses Bauwerk sehr genau in Augenschein zu nehmen, bevor sie sich ihm anvertraute, und so bog sie von der Straße ab und folgte dem Flußufer nach Norden, bis sie zurückblicken und die Brückenbögen von der Seite her sehen konnte. Sie ließ die Zügel fallen, glitt aus dem Sattel und band den Gyori die Vorderläufe zusammen; dann trat sie ans Flußufer - und sprang zurück, als das lehmige Erdreich unter ihren Füßen wegbröckelte.
Der Fluß hatte sich tief in die zerbrechliche, weiße Erde gefressen, so daß die Ufer in sanften, senkrechten Furchen abfielen -kleine Steilufer von jeweils einigen Metern Höhe. Sie befeuchtete die Lippen und schluckte krampfhaft; Lippen und Hals waren ausgetrocknet; Preis der hinter ihr liegenden Anstrengungen. Feldflasche und Wasserbeutel waren gleichermaßen leer, in der hinter ihnen liegenden Nacht hatten sie ein sehr trockenes Lager gehabt - einen Becher Cha für sie und Shadith, das restliche Wasser für die Gyori.
Sie riß den Blick vom Wasser los und spähte forschend zu der Brücke hinüber. Die wenigen unversehrt gebliebenen Brückenbögen schienen massiv genug; sie bestanden aus einem fugenlos glatten, grauweißen Gemisch, Metabeton nicht unähnlich, und offenbar von dessen Stabilität und Zuverlässigkeit. Sie blickte über die Schulter zu Shadith hin, dann zum Wald. Kräftig genug. Hoffe ich.
Mißtrauisch betrachtete sie die Brücke. Schwankende Linien erhoben sich auf dem Kompositum, hier und da klebten getrockneter Schlamm und Moose; Hochwassermarkierungen. Flut und Dürre und wieder Flut, und sie steht noch immer. Sinnlos, hier den ganzen Tag zu vergeuden. Sie blickte zur Sonne hoch, ein verschwommenes Rund, kaum sichtbar hinter den Wolken. Kurz nach Mittag.
Also habe ich doch nicht so viel Zeit verloren. Sie schirmte ihre Augen mit beiden Händen ab, sah über den Fluß hinweg auf das Land, das sie und Shadith dort erwartete.
Gestrüpp. Braun und grau. Ödland. Selbst der Hauch von frischem Grün kam ihr trübe vor. Ödland, wahrhaftig. Sie tastete mit einem Geistfühler vor, sondierte, soweit dies möglich war, ließ ihn in einem weiten Bogen über das Gestrüpp streichen. Ein Lebenssystem, komplex und vital, kleine und vage größere Lebensfunken, kleine und vage größere Wärmequellen, Feuerberührungen an ihrem Gesicht, jedoch innerhalb ihres Halbkreises nichts in der Größe eines Menschen. In Ordnung, dachte sie. Sie schluckte wieder, wandte sich dann von dem verlockenden, jedoch außer Reichweite befindlichen Wasser ab und kehrte zu den Gyori zurück.
Sie strich über Shadiths Gesicht. Fieber. Sie hob eines ihrer Augenlider an. Noch immer ohne Besinnung. Sie streichelte mit sanften Fingern über den zerzausten Schopf braungoldener Haare, prüfte schließlich die Halsschlagader. Ein kräftiges Pulsieren. Mit einem ziemlich schuldbewußten Lächeln (schuldbewußt deshalb, weil es ihr eine Erleichterung war, nicht mit ihr reden, streiten, sie besänftigen zu müssen) tätschelte sie ihre Wange. Dann wandte sie sich ab, ergriff die Zügel der beiden Gyori und schwang sich in den Sattel. Mit einem letzten Blick auf Shadith trieb sie ihr Gyr in einen schnellen Trott.
Die Pflastersteine der Brücke waren abgenutzt und mit kleinen Löchern gesprenkelt; Teile des Geländers waren hier und da zerbröckelt, doch die Unterkonstruktion war so stabil wie die Erde selbst. In der Flußmitte angelangt, blickte sie nach Norden: Dort beschrieb der Fluß eine weite Kehre, und sie fragte sich, wie viele ähnliche Kehren noch folgen mochten, bis er die nächste befestigte Stadt erreichte. Ein Blick zum düsteren Himmel hinauf brachte sie auf andere Gedanken. Nicht
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