Die Fallen von Ibex
die Finger der rechten.
„Ich weiß es nicht. Mach kein Theater. Tu einfach nur, was ich gesagt habe. Nimm die Pfeile.” Mit einer ungeduldigen Handbewegung wandte sie sich ab und kniete sich neben den beiden Kreaturen hin. Sie mußte gegen ihre Übelkeit ankämpfen, aber es gelang ihr, die Hände auszustrecken, sie zu berühren, nachzufühlen, ob noch Leben in ihnen war. Über dem unterentwickelten Ohr gab der Schädel unter ihren tastenden Fingern mit einem Knirschen nach, das mehr fühlbar denn zu hören gewesen war. Donner grollte über ihnen, der Wind schleuderte Regenschleier über sie, das Gestrüpp windelte und ächzte. Irgendwo, nicht allzu fern, verpestete etwas längst Totes den Wind. Sie berührte die vor ihr liegende Kreatur. Der lange, knollige Schädel rollte unter ihren Fingern haltlos zur Seite. „Zu leicht”, murmelte sie. „Als hätten sie kein…” Auf den Knien rutschte sie zu den anderen. Der an der Schulter getroffene Mutant war bereits kalt und tot; er hatte nicht einmal viel Blut verloren, einige wenige rote Rinnsale. Der Pfeil steckte noch in der Wunde. Ich hab’ ihr doch gesagt… Noch immer auf den Knien, fuhr Aleytys herum, wollte Shadith anbrüllen, spürte eine ungeheuerliche, übermächtige Wut in sich hochbrennen und die Kontrolle übernehmen. Dann sah sie Shadith neben dem Gefangenen knien, seine Fesseln zerschneiden. Ich habe nicht mehr an ihn gedacht, dachte sie, dumm, dumm. Das Wasser stand bereits hoch, nahezu an seinen Ohren. Shadith durchtrennte die letzte Handfessel, die Messerklinge tauchte immer wieder in das Wasser hinab. Das Gesicht des kleinen Mannes war steinern, doch er strahlte seine Empfindungen weiterhin aus: Wachsamkeit, aber auch Flehen. Mit letzterem hatte er Shadith wirkungsvoll am Haken, wenn sie richtig verstand. Sie beobachtete sie, lauschte ihr, wie sie in Interlinqua beschäftigend auf ihn einsprach - wie eine Mutter mit einem kleinen und ungezogenen Jungen sprechen mochte. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Leichnam zu.
Angewidert von ihm und angewidert von ihrer Reaktion, schnitt sie in das ölige Fleisch hinein, um den Pfeil heil zu bergen. Sie wich zurück, preßte die Faust auf ihren Mund und versuchte das Zucken ihres Magens zu unterdrücken. Sie schaffte es nicht; sie konnte es nicht. Sie kauerte auf ihren Fersen und starrte durch den Regen auf die dunklen Mauern des wogenden Gestrüpps. Kreatur. Der Verstand spielte feinsinnige Spielchen mit gewissen Worten - auch ohne Zustimmung oder Wissen des Willens. Kreatur. Man könnte genausogut Tier sagen. Mensch, dachte sie. Und beugte sich vor, betrachtete den Körper genauer.
„Frau”, flüsterte sie und schloß die Augen. Auf bizarre Art und Weise wurde es dadurch schlimmer … dadurch, daß dieses Ding…
dieser Leichnam… eine Frau war. „Werkzeugbenutzer, Sprachbildner”, flüsterte sie. „Ich darf nicht zulassen, daß ich…” Sie ließ die Worte versiegen, zwang Abscheu, Mitleid, Scham nieder und schnitt die Pfeilspitze heraus.
Sie schwenkte sie kurz im tiefer werdenden Wasser zu ihren Füßen, hob sie dann hoch und verstand plötzlich, weshalb die Frau (das Wort zu denken, bereitete ihr noch immer Schwierigkeiten) an einer so unbedeutenden Wunde gestorben war. Die Spitze schimmerte milchig-weiß in der Düsternis; die giftgetränkten Fasern erschienen vor diesem Hintergrund wie schwarzer Stacheldraht. Ein Zel-Pfeil. Sie erhob sich mühsam und ging zu Shadith hinüber. Der Regen sammelte sich rings um ihre Stiefel in großen Pfützen. Sie schaute hinab, erinnerte sich daran, wie sorgfältig sie sich bemüht hatte, sie trocken zu halten, und verwarf schulterzuckend, was nicht mehr zu ändern war. Sie streckte Shadith den Pfeil entgegen.
Sie wandte sich um, bedachte den Pfeil mit einem
verständnislosen Blick. „Was hast du erwartet?” Sie kauerte bei dem Mann in der Grube, hatte seinen Kopf fürsorglich auf ihren Schoß gebettet; der Regen strömte über ihr Gesicht, verklebte ihre langen Haare, strich sie dicht an ihren schmalen Kopf. Die Schokoladenaugen waren geweitet und voller Trotz; sie wehrte sich dagegen, Mitgefühl zu empfinden mit der toten Frau. „Vergiß die Sache, Lee. Er hat deine Hilfe nötig.” Sie lächelte auf den kleinen Mann hinab und tätschelte gedankenabwesend seine Schulter.
Aleytys umrundete seine Füße, kniete sich neben ihm nieder und verzog das Gesicht, als sie die Kälte des Wassers durch ihre Hose sickern spürte.
Sein blau
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