Die Fallen von Ibex
mehr lange, und der drohende Regen würde fallen. Und dann bemerkte sie plötzlich, daß der Falke nirgendwo zu sehen war. Sie griff nach ihm aus, suchte nach ihm, doch er war außer Reichweite. Das wird Shadith überhaupt nicht gefallen. Muß passiert sein, als die Dryaden sie geschnappt haben. Er war wie sie diesseits der Berge - und doch so fern. Er war abgeschnitten von ihnen. Und unruhig. Das hatte noch gefehlt.
Auf der anderen Seite der Brücke angelangt, zügelte sie die Gyori und spähte die allmählich nach Norden abbiegende Straße entlang, bis zu jenem Punkt, wo sie mit dem wuchernden Gestrüpp verschmolz. „Zuerst das Wasser.” Sie hieb dem Gyr die Hacken in die Seiten und ließ es dem Ufer folgen; irgendwo mußte es schließlich eine Stelle geben, an der sie Shadith, sich selbst und die beiden Gyori zum Wasser hinunterbringen konnte.
3
Später Nachmittag. Die Brücke längst außer Sicht. Das Gestrüpp zieht sich ununterbrochen hin. Der Wald nur mehr ein Schmierstreif am Horizont. Endlich begann das Steilufer abzuflachen, in eine Schräge überzugehen, die allmählich immer sanfter wurde, bis sie irgendwann eine Senke erreichte, von der sie annahm, daß sie genügte. Die Gyori waren trittsichere Tiere, ihre geteilten Hufe vermochten auch in diesem kalkigen Boden ausreichend Halt zu finden. Aber - würde er ihr Gewicht tragen, ohne wegzubrechen?
Der Grund war trügerisch. Sie schlang den Zügel ins Halfter hoch, damit Shadiths Tier nicht darüber stolpern konnte, dann machte sie sich vorsichtig an den Abstieg.
Das Flußufer war mehrere Schritte weit seicht; ein heller Grund und Grasflechten, die sich von der Strömung kämmen ließen, schimmerten durch das klare, kalte Wasser.
Die Gyori schnaubten vor Wohlbehagen und wateten in das Wasser hinaus, bis sie fesseltief darin standen. Begierig stillten die Reittiere ihren Durst. Aleytys lachte. Gefährlich auf dem Sattelpolster balancierend, zog sie einen Stiefel aus, dann den anderen (sie konnte es sich nicht leisten, daß sie naß und steif wurden; sie hatte nur noch dieses eine Paar - unmöglich, Ersatz zu finden, nicht in diesem Wildland). Sie drehte sich um, suchte das Ufer ab, warf den ersten Stiefel hinüber; in eine verwitterte Felsspalte, weiter oben. Er blieb liegen. Kreidiger Staub puffte hoch und ließ sich gemächlich wieder nieder. Sie reckte die Schultern, schwenkte den anderen Stiefel und warf auch ihn. Sie quittierte mit einem zufriedenen Nicken, daß auch er genau im Ziel saß. Sie winkelte ein Bein an, rollte das weiche Wildleder über ihr Knie hoch, hielt sich am Sattelpolster fest und hob das andere Bein. Unter ihr rauschte das Wasser vorbei. Das Gyr schlürfte zufrieden. Hin und wieder wischte der Wind hoch droben am Ufer grobe Sandkörner über den Rand und ließ sie in vereinzelten kleinen Rinnsalen und Lawinen hangabwärts rieseln; die Krumen wirbelten und prasselten herab und kamen wieder zur Ruhe.
Aleytys ließ sich aus dem Sattel und ins Wasser gleiten; als es sich um ihre Füße schloß, entfuhr ihr ein kleiner Schrei. Sie schüttelte sich und blieb reglos stehen, bis sie sich daran gewöhnt hatte, dann kramte sie in ihrer Satteltasche, bis sie den Becher gefunden hatte. Sie schöpfte etwas Wasser damit auf, nahm einen Schluck, behielt ihn im Mund und wartete. Kein Rumoren in ihrem Körper.
„Muß sauber genug sein.” Sie kraulte das Gyr am Hals und lachte, als es ihr eine triefende Schnauze in die Seite stupste. „Trink weiter, du.” Die Augen vor Wonne geschlossen, schluckte sie. Die kühle, frische Flüssigkeit rann wie Balsam durch ihre ausgetrocknete Kehle. Sie füllte den Becher neu, trank langsamer, seufzte, wischte sich den Mund ab und steckte den Becher dann in die Satteltasche zurück. Die Gyori knabberten an den Wassergräsern und begannen mahlend zu kauen. Dieser Anblick brachte ihr den eigenen Hunger sehr lebhaft in Erinnerung. Noch eine Weile, und wir können beide essen, dachte sie und lauschte dem übermütigen Tosen des Wasser ringsumher.
Sie umrundete das Gyr und blieb neben Shadith stehen, legte ihre Hand flach auf die Stirn des Mädchens. Keine Veränderung, soweit sie dies feststellen konnte. Sie löste die Halteriemen, ließ Shadith in ihre Arme gleiten und trug sie zum Ufer hinüber; dort, dicht am Wasser, legte sie sie behutsam nieder. Das Summen und Plätschern überdeutlich in den Ohren, legte sie Shadith beide Hände auf und ließ die Geistfühler entstehen. Die dunklen Wasser des
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