Die falsche Frau
ihn
in Athen gar nicht verloren haben, sondern aus dem Verkehr gezogen und irgendwo
ruhiggestellt.
Der Kugelschreiber rotierte immer noch zwischen meinen Fingern. Ich
war nervös. Seit Minuten schon. Etwas hatte mich beunruhigt. Etwas, das Helena
gesagt hatte. Etwas, das wichtig sein könnte und mir jetzt partout nicht mehr
einfallen wollte.
Eine Weile hingen wir unseren Gedanken nach und lauschten den auf-
und abschwellenden Sprechchören in der Ferne. Noch hatte die Demonstration
nicht begonnen, dennoch schien es schon hoch herzugehen. Natürlich würden sich
Gruppen von Autonomen unter die Demonstranten mischen. Das wussten wir schon
seit Tagen aus diversen Internetforen und von einschlägigen Facebookseiten.
Natürlich würde es auch heute Randale geben. Problematisch war, dass die gewalttätige
Fraktion dieses Mal in der Masse der Harmlosen mitschwimmen und bei Bedarf
untertauchen konnte. Fische im Wasser ⦠Hoffentlich blieben meine Zwillinge
heute vernünftig und zu Hause.
»Würdest du ihr zutrauen, ihre Helfer zu töten?«, fragte ich irgendwann.
»Vielleicht, nachdem sie nicht mehr gebraucht werden?«
»Ich dachte, Jakoby �«
»Würdest du es ihr zutrauen?«
»Sie hätte es auf andere Weise getan. Unauffälliger. Nicht beide auf
einmal. Und ein Brand, nein, das ist nicht ihre Handschrift.«
Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr elf Mal. Die Demo begann. Und ich
hatte einen Termin beim Chef.
39
»Ich sehe zwei Möglichkeiten«, eröffnete ich die kleine Sitzung,
bei der neben Liebekind und meiner Wenigkeit auch die leitende
Oberstaatsanwältin anwesend war, Frau Dr. SteinbeiÃer. »Erstens: Wir ermitteln
weiter verdeckt, um sie in Sicherheit zu wiegen. Oder wir machen groÃes Tamtam,
um sie nervös zu machen.«
»Denken Sie denn, sie wird sich nervös machen lassen?«, fragte die
Staatsanwältin mit hochgezogenen Brauen.
»Ich weià nichts über ihren Gemütszustand. Ich weià nichts über ihre
Motive. Das Einzige, was ich habe, sind belastbare Indizien dafür, dass sie in
der Nähe ist. Und bestimmt nicht, weil sie Sehnsucht nach Heidelberg hatte.«
Die Staatsanwältin sah meinen Chef an. »Weshalb kommt eine Frau nach
so langer Zeit zurück, um etwas fortzusetzen, was sie vor Ewigkeiten hinter
sich gelassen hat?«
»Diese Frage habe ich mir in den letzten Wochen tausend Mal
gestellt«, sagte ich. »Ich habe bis jetzt keine Antwort gefunden.«
»Eine Krankheit?«, brummte Liebekind missmutig. »Vielleicht ist sie
todkrank und will mit einem letzten groÃen Knall aus dem Leben scheiden?«
»Ihre politischen Ansichten werden sich über die Jahre nicht
wesentlich geändert haben«, spekulierte die Staatsanwältin.
»Politische Ansichten reichen als Motiv nicht aus«, warf ich ein.
»Es muss etwas anderes sein. Etwas Stärkeres. Etwas Persönliches.«
Für einige Sekunden herrschte ratloses Schweigen. Die Sprechchöre
schienen näher gekommen sein. Inzwischen war mehr als ein Hubschrauber in der
Luft.
»Um auf Ihre Frage zurückzukommen«, sagte Liebekind schlieÃlich und
rang sich ein säuerliches Lächeln ab. »Ich persönlich bin für Plan A. Wir
ermitteln mit Hochdruck, aber möglichst geräuschlos weiter. Alles andere würde
zu groÃer Unruhe in der Ãffentlichkeit führen und die Sache vermutlich nur
schlimmer machen.«
»Die Presse sieht die Bedrohung bisher ausschlieÃlich in islamistischen
Terrorgruppen.« Die Staatsanwältin nickte. »Lassen wir sie in dem Glauben.«
»Der Sprengstofffund auf der bayerischen Autobahn macht diese
Bedrohung leider Gottes ziemlich real.«
»Das ist eine überregionale Sache, die das BKA bearbeitet«, sagte
Liebekind in einem Ton, als würde er die Besprechung gerne beenden. »Haben Sie
genug Leute für die Aufgabe?«
»Nein.«
»Und Sie glauben also nicht daran, dass sie mit der al-Qaida
gemeinsame Sache macht?«
»Sie hat jede Art von Religion immer abgelehnt.«
»Frau Landers hat zwei Jahrzehnte in Pakistan gelebt«, grübelte die
Staatsanwältin mit halb geschlossenen Augen. »In engstem Kontakt mit den
Einheimischen. Menschen ändern sich. Auch Terroristinnen.«
So schlau war ich schon lange, hätte ich um ein Haar erwidert.
Liebekind erhob sich seufzend und mit sorgenvoller Miene. »Gehen
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