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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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sogar ausgedruckt und gerahmt. Peter hatte so viel Sinn für
Ästhetik. Er …« Sie brach ab, und es dauerte geraume Zeit, bis sie flüsterte:
»Er hatte so viel Sinn für Schönheit.«
    Â»War er die ganze Zeit in Indien? Für wie lange?«
    Â»Lassen Sie mich überlegen. Geflogen ist er gleich nach Semesterende.
Nach Bombay. Mitten in den Monsun hinein. Ich habe ihn gewarnt, aber er wollte
das so. Er wollte sehen, wie die Menschen dort unten leben. Die Wirklichkeit,
die Slums, den Schlamm, den Müll. Die hässliche Seite des Lebens wollte er
sehen. Er meinte, wir hier im Westen lebten in einem Kokon. Wir hätten keinen
Schimmer davon, unter welchen Umständen neun Zehntel der Menschheit
vegetierten.«
    Â»Wann ist er zurückgekommen?«
    Â»Das kann ich nicht genau sagen. Die Mails wurden mit der Zeit
spärlicher, und irgendwann ist der Kontakt ganz abgerissen. Anfang September
hat er mir dann noch einmal eine kurze Nachricht geschickt, aus einem
Internetcafé im Norden. Ich solle mir keine Sorgen machen, man hatte ihm sein
Handy gestohlen. Seine Freundin war schon früher nach Hause geflogen. Sie hat
es nicht mehr ertragen. Aber er wollte aushalten. Er hatte vor, noch zwei,
maximal drei Wochen zu bleiben. Den Namen der Stadt im Norden müsste ich nachsehen.
Seine Mails von damals habe ich noch gespeichert.«
    Â»Könnte es sein, dass er anschließend nach Pakistan weitergereist
ist?«
    Â»Möglich.«
    Â»Wie klang er?«
    Â»Ich verstehe nicht …?«
    Â»Entspannt? Wütend? Abenteuerlustig?«
    Sie brauchte eine Sekunde, bis sie das treffende Wort gefunden
hatte: »Aufgewühlt. Was er dort unten gesehen hat, war tausend Mal schlimmer,
als er es sich ausgemalt hatte. Kranke mit ekligen Geschwüren, Tote, die
einfach am Straßenrand in der Gosse lagen, um die sich niemand kümmerte.
Bettelnde Kinder voller Läuse, lästig wie Ratten, junge Mädchen, halbe Kinder
noch, die sich ihm anboten …«
    Während meines Telefonats hatte sich leise die Tür geöffnet, und
Helena war eingetreten. Sie hatte mir mit starrer Miene zugenickt und sich
lautlos an ihren Platz gesetzt. Sie war blass und wirkte, als hätte sie in der
vergangenen Nacht keine Minute Schlaf gefunden.
    Als ich auflegte, machte sie mit ihrem Stuhl eine Hundertachtzig-Grad-Drehung,
sah mir stumm und vorwurfsvoll ins Gesicht.
    Dies war wohl der Moment, vor dem mir seit Tagen graute.
    Â»Du willst reden?«, fragte ich, die Hand noch am Hörer.
    Sie nickte fast unmerklich.
    Â»Es tut mir leid.« Ich schluckte, wich ihrem Blick aus. »Du hältst
mich für einen Feigling. Und du hast recht. Ich war ein Idiot …«
    Sie schwieg. Sah mir immer noch in die Augen. Hatte offenbar nicht
vor, mir die Sache irgendwie leichter zu machen.
    Â»Eines musst du mir glauben: Ich wollte dich nicht verletzen.«
    Endlich zeigte sie eine Reaktion. Sie schlug die Augen nieder.
    Es wurde ein mühsames Gespräch. Sie sagte, sie wolle und könne mir
keinen Vorwurf machen. Sie sagte, sie habe sich ebenso dumm benommen wie ich.
Sie wollte wissen, ob es eine Frau gab in meinem Leben. Was ich natürlich eilig
abstritt. Wenn es etwas gab, was ich absolut nicht brauchte, dann war es eine
Zielfahnderin, die ihre professionellen Kompetenzen nutzte, um mein Privatleben
auszuforschen.
    Nicht nur ich war an jenem Abend im letzten Moment zurückgezuckt.
Nicht nur ich hatte im entscheidenden Moment gekniffen. Das Taxi hatte uns vor
ihrer kleinen Pension in der Walldorfer Bahnhofstraße abgesetzt. Ich gab dem
verständnisinnig grinsenden Russen am Steuer viel zu viel Trinkgeld, wir
schlichen die Treppe hinauf wie zwei Teenager auf dem Weg zum allerersten Mal,
und in ihrem Zimmer, einem kärglichen, energiesparkalt beleuchteten Kämmerchen,
wir waren schon dabei, uns gegenseitig die Sachen vom Leib zu reißen – da
machte es in meinem Kopf plötzlich klick. Mit einem Mal war die Realität wieder
da und Theresa und die Erkenntnis, dass das nie und nimmer gut gehen konnte,
was wir zu tun im Begriff waren.
    Aber es war nicht nur das gewesen. Auch auf ihrer Seite hatte sich
plötzlich etwas verändert. Vielleicht schon einen Augenblick früher als bei
mir. Plötzlich war sie steif geworden, hatte einen Arm vor ihre Brüste gehalten
und sich abgewandt. Vielleicht hatte sie mein Zögern früher gespürt als ich,
vielleicht

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