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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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ernst genommen. Keiner.«
    Â»Wer könnte mehr über ihn wissen? Wer könnte wissen, was da Anfang
September passiert ist?«
    Horstkotte kaute auf der rissigen Unterlippe.
    Â»Reden Sie mal mit der Gudrun«, sagte er schließlich und sah mir zum
ersten Mal offen ins Gesicht. Sein Blick war müde und todtraurig. »Die ist so
was wie die WG-Mutter. Und sie hat Jo ein bisschen ins Herz geschlossen. Bei
ihr hat er sich auch manchmal ausgeheult.«
    Während meines Gesprächs hatte mein Handy dreimal gesurrt.
Erst als ich durch das hohe, hellgrau lackierte Stahltor der Vollzugsanstalt
hinaus in die trübe Nachmittagssonne trat, öffnete ich die angekommenen SMS.
Die erste Nachricht, die ich las, war ein kurzer Lagebericht aus der Direktion.
Die Demonstration war im Großen und Ganzen friedlicher verlaufen, als wir
befürchtet hatten. Natürlich hatte es einige Handgemenge gegeben und etwa
vierzig Festnahmen. Der Sachschaden war jedoch dieses Mal nicht der Rede wert.
Vor allem die Fisch-im-Wasser-Strategie der Chaoten war nicht aufgegangen. Das
Wasser hatte dieses Mal nicht mitgespielt. Die Masse der Demonstranten hatte
die Fraktion der Gewaltbereiten immer wieder isoliert. Inzwischen war es zwei
Uhr vorbei, stellte ich auf dem Weg zu meinem Wagen fest, und ich hatte noch
nichts gegessen.
    Schon seit einer guten Stunde war die Großveranstaltung zu Ende. Der
Abtransport der Demonstranten verlief bisher reibungslos. Manche waren auch
gleich geblieben, um – wo man schon mal da war – das berühmte Heidelberg zu
besichtigen oder ein wenig zu shoppen, was die Inhaber der Geschäfte für ihren
erlittenen Umsatzeinbruch vermutlich mehr als entschädigte.
    Die zweite Nachricht kam von Theresa. Aufgekratzt schrieb sie, es
gehe ihr gut, sie fühle sich jung wie lange nicht und liebe mich und finde
außerdem, wir sollten unseren blöden Streit endlich ad acta legen. Auch die
zuletzt angekommene SMS stammte von ihr. Diese war erst wenige Minuten alt und
klang weniger euphorisch: »Bin im Krankenhaus! Rette mich!!!«
    Ich wählte ihre Nummer.
    Â»Deine Schlägertruppen sind über mich hergefallen!«, tönte sie, ohne
Zeit für Nettigkeiten zu verschwenden.
    Â»Du warst doch hoffentlich nicht bei der Demo?«
    Â»Selbstverständlich war ich!«, erwiderte sie mit vor Empörung
bebender Stimme. »Aber das ist noch lange kein Grund, mich zu ermorden! Außerdem
hat man mich beraubt!«
    Wer noch so wütend sein konnte, lag nicht im Sterben. »Der Ritter in
der schimmernden Rüstung ist unterwegs zu dir«, sagte ich entspannt. »Aber
vorher muss er noch eine Kleinigkeit essen.«
    Â»Ich sterbe! Außerdem schmeckt der Kaffee hier schauderhaft.«
    Während der Fahrt nach Heidelberg zurück kam mir eine schier endlose
Schlange von Bussen entgegen, die meisten vollgestopft mit gut gelaunten
Demonstranten, die das Gefühl genossen, viele zu sein und alle auf der
richtigen Seite.

40
    Meine wutflammende Göttin entdeckte ich bei einer kleinen
Gruppe von Leidensgenossen, die vor dem Eingang der Notfallambulanz in der
Sonne standen und fleißig rauchten. Um den Kopf gewickelt trug sie einen
provisorischen Verband vom Format eines Turbans. Links an der Stirn entdeckte
ich einen Blutfleck von der Größe eines Damendaumennagels.
    Â»Meine Handtasche!«, waren ihre ersten Worte, während sie die erst
halb gerauchte Zigarette in einem Eimerchen voller Sand ausdrückte.
    Wir gingen hinein zu den anderen mehr oder weniger schwer
Verletzten. Ein Mann in den Vierzigern, dessen linker Unterarm in einen
blutigen Lappen gewickelt war, rückte murrend einen Stuhl nach rechts, sodass
wir zwei Plätze nebeneinander hatten.
    Â»Was ist mit deiner Handtasche?«
    Â»Deine Schläger haben sie mir weggenommen!«
    Neben Theresa warteten noch etwa zwanzig weitere Personen,
vermutlich größtenteils ebenfalls Demonstranten, die den Schlagstöcken
übereifriger Kollegen zu nah gekommen waren oder sich sonstwie beim
Demonstrieren verletzt hatten.
    Â»Bei uns klaut niemand. Schon gar nicht im Dienst.«
    Â»Aber wie!«, versetzte sie. »Oder wie würdest du es nennen, wenn
jemand das Eigentum eines anderen ohne dessen Einwilligung an sich nimmt? Du
hast ja keine Ahnung, wie es draußen zugeht, im wirklichen Leben!«
    Ich schlug die Beine übereinander. »Dann kläre mich bitte auf.«
    Stückchen für

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