Die falsche Frau
Stückchen rückte sie mit der Wahrheit heraus. Und mit
jedem Satz wurde sie ein wenig kleinlauter. Sie war in den vordersten Reihen
gewesen, von Beginn an. Und sie war stolz darauf.
»Ich habe nur von meinem Recht auf freie MeinungsäuÃerung Gebrauch
gemacht!«
Anfangs war alles friedlich gewesen, fröhlich geradezu. Selbst
manche der unzähligen Polizisten, die den Demonstrationszug begleiteten und beobachteten,
hatten aufmunternd gelächelt. Etwa nach der Hälfte der Strecke war die Stimmung
plötzlich gekippt. Erst hatte es böse Bemerkungen aus der Menge gegeben, die
die Laune aufseiten der Staatsgewalt getrübt hatten, bald auch finstere Blicke,
kleine Rempeleien. Weiter hinten hatte wohl ein schwarzer Block sein Unwesen
getrieben und für Unruhe und immer wieder aufflackernde Panik gesorgt.
Irgendwann hatte sich ein Disput entwickelt zwischen einer jungen Frau, die mit
Theresa Arm in Arm marschierte, und zwei jungen Bereitschaftspolizisten, die
den Damen angeblich zu nah gekommen waren. Es waren unschöne Worte gefallen.
»Man wird in diesem Land ja wohl noch von seinem Demonstrationsrecht
Gebrauch machen dürfen!«
»Solange die Rechte anderer nicht verletzt werden.«
»Corinna und ich, wir waren friedlich wie die Lämmchen! Wir haben
sogar auf die anderen eingeredet, dass sie mit den Pöbeleien aufhören sollen.
Aber dann hat er einfach zugeschlagen, dieser Rüpel.«
»Die Kollegen haben vorher nicht zufällig irgendwas zu euch gesagt?
Zu dir oder deiner neuen Freundin?«
»Man hat ja nichts verstehen können bei diesem Lärm!«
»Er hat also etwas gesagt.«
»Erst hat er Corinna erwischt, an der Schulter. Nicht auszudenken,
wenn er sie am Kopf getroffen hätte. Ich habe ihn nach seinem Namen gefragt.
Wollte er mir aber nicht verraten. Ich wollte den Namen seines Vorgesetzten
wissen. Und da ist ihm wohl doch mulmig geworden, und auf einmal hat der Flegel
getan, als wäre ich Luft. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen. Ich hatte
ein Recht darauf zu erfahren, wer der Schläger war. Und dann â auf einmal â
fängt er an, mich niederzuknüppeln. Niedergeknüppelt hat er mich! Eine wehrlose
Frau!«
»Wer sich in Gefahr begibt, riskiert blaue Flecken.«
»Wir leben in einem Rechtsstaat! In diesem Land kann die Polizei zum
Glück nicht tun und lassen, was ihr gefällt!«
»Es war nicht dein Recht, den Beamten zu beleidigen. Und das hast du
ja wohl getan. Sonst hätte er nicht zugeschlagen.«
»Ich habe niemanden beleidigt!«, fauchte sie. »Ich habe nur von
meinem Recht auf freie MeinungsäuÃerung â¦Â«
Allmählich verlor ich den Spaà an der Sache. »Und was ist nun mit
deiner Handtasche?«
»Die hat er mir weggenommen. Sagte ich doch schon.«
Hin und wieder wurde jemand ins Behandlungszimmer gerufen. Immer
noch drängten neue Verletzte herein, teilweise klitschnass vom Strahl eines
Wasserwerfers.
»Erst hat er dir also grundlos auf den Kopf geschlagen, und anschlieÃend
hat er dir die Handtasche entrissen. Und das soll ich dir glauben?«
»Ganz so war es nicht«, gestand sie, nun schon etwas leiser.
»Wie war es dann?«
Sie sah zu Boden. »Erst hat Corinna angegriffen. Sie studiert
übrigens Germanistik. Eine sehr sympathische junge Frau, so zart, so
intelligent â¦Â«
»Und vermutlich genauso eloquent wie du.«
Theresa druckste noch ein wenig herum, schlieÃlich gestand sie: »Ich
habe sie ihm an den Kopf geschlagen. Die Handtasche. Nur ein kleines bisschen.
Und er hat ja auch einen Helm aufgehabt. Es war im Grunde mehr ein symbolischer
Akt. Eine tätliche MeinungsäuÃerung, wenn du so willst. Vernünftig reden konnte
man ja nicht, bei dem Lärm.«
Der ganze Warteraum bebte jetzt vor Empörung und Frustration. Und
minütlich wurde es voller. Es schien immer noch hoch herzugehen, drauÃen im
richtigen Leben.
»Und was war in der Handtasche drin, die du dem armen Kollegen
symbolisch um die Ohren gehauen hast?«
»Was man in seiner Handtasche eben so hat.«
»Theresa, bitte!«
Seufzend sah sie zur Decke. »Ein bisschen Geld, Papiere, Lippenstift,
Taschentücher, Tampons, Ersatzstrümpfe, zwei Müsliriegel, Kopfschmerztabletten,
Sonnenbrille â¦Â«
»Welche Handtasche war es denn?«
»Die â¦Â« Sie schluckte und wurde noch eine Spur kleinlauter.
Weitere Kostenlose Bücher