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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Cabrios war rasch ermittelt. Er wohnte in einem
der Nachbarhäuser und schien einer jener beneidenswerten Menschen zu sein, die
an jedem Tag ihres Lebens gute Laune haben. Er verdiente sein Geld mit dem
Verkauf von Tiernahrung im Internet und war ohne Zögern bereit, im Dienste der
Wahrheitsfindung seinen funkelnagelneuen BMW-Roadster zu durchstöbern.
    Nicht einmal eine Stunde später lag das Tagebuch vor mir. Eine
daumendicke, zerfledderte Kladde mit schwarzem Ledereinband. Sie hatte seit
Tagen friedlich unter dem Beifahrersitz des fröhlichen Tiernahrungshändlers
gelegen.
    Als ich das Buch aufschlug, fühlte ich mich wie ein Dieb, der
fremden Grund betritt. Der erste Eintrag war vom siebten März dieses Jahres.
Jonas Jakoby war ein guter Beobachter mit starkem Hang zu Schwulst und Romantik
gewesen. Er hatte ein Auge für jene Kleinigkeiten, die das Leben auch denen
vergolden, die kein Geld haben, sich Schönheit und Komfort zu kaufen. Gleich
auf der ersten Seite ging es um Narzissen, ihre vollkommenen Blüten, die den Frühling
begrüßten, die Sonne symbolisierten, das Glück, das jedem Neubeginn innewohnt.
Akribisch beschrieb er, wie es sich anfühlte, wenn man diese Blüten zart
berührte, und wie es manche Menschen offenbar an alle möglichen sexuellen Erfahrungen
erinnerte. Kein Wunder, dass der Autor diesen Schmachtfetzen nicht aus den
Augen gelassen hatte. Einige Seiten weiter duftete der Flieder mit Macht, und
die Farbe erinnerte den Schreiber an die Eicheln geschlechtsreifer Männer.
    In der folgenden Stunde stellte ich fest, dass verliebte Schwule
sich nicht weniger merkwürdig gebärden und mindestens ebenso unzurechnungsfähig
sind wie verliebte Heterosexuelle. Hin und wieder wurde ein attraktiver Mann
beschrieben, der niemals erfahren würde, dass er zeitweilig Objekt der etwas
ziellosen Sehnsucht eines Geschlechtsgenossen gewesen war. Namen waren grundsätzlich
abgekürzt.
    Nebenbei hatte die Kladde auch ganz profan als Kassenbuch gedient.
Abend für Abend notierte Jonas Jakoby säuberlich seine Einnahmen und Ausgaben.
Als Straßenmusikant konnte man an guten Tagen – auch wenn man über kein
besonderes Talent verfügte, was der Schreiber hin und wieder in einem Anflug
von Selbstironie aufblitzen ließ – fünfzig Euro verdienen. Vor allem japanische
Touristen schienen freigiebig zu sein. Regnete es, reichte es dagegen kaum fürs
Abendessen.
    Anfang April tauchte zum ersten Mal ein gewisser »P« auf, und dieses
Mal war alles anders. Jonas Jakoby schwärmte nicht, er hatte sich mit Haut und
Haaren verliebt. Und es ging ihm nicht gut dabei.
    Â»Er ist ein strahlender Stern am hohen Firmament und ich ein
schmieriger Wurm im Dreck«, las ich mit leichtem Grausen. »Wie sollte er sich
je für einen Wicht wie mich interessieren?«
    Jakoby haderte mit dem Schicksal, das ihn weich und wenig lebensstark
gemacht hatte. Auch, dass die Natur ihn nicht übermäßig mit Intelligenz
gesegnet hatte, war ihm durchaus bewusst gewesen.
    In den folgenden Tagen und Wochen hatte er wiederholt mehr oder
weniger zarte Annäherungsversuche gestartet, die mich an meine eigenen dümmlichen
und selten von Erfolg gekrönten Versuche erinnerten, als junger Mann mit
attraktiven Frauen ins Gespräch zu kommen. Aber am Ende hatte »P« sich
plötzlich doch interessiert, und von nun an schrieb Jakoby nur noch blümchenreichen
Unsinn. Wie jeder Mensch in seinem Zustand war er überzeugt, der Glücklichste
der Welt zu sein. Der Erste, dem sich das Wunder der Liebe enthüllt, der Erste,
der ihn erleben darf, diesen Irrsinnsrausch der Hormone, der einen
vorübergehend jede Spur von Verstand und Zurückhaltung verlieren lässt.
    Während ich die folgenden Seiten überflog, begann ich Peter von
Arnstedt zu hassen. Die Arroganz, mit der er Jakoby offensichtlich zum Narren
hielt, mit der er ihm immer wieder Hoffnungen machte, nur um ihn immer wieder
aufs Neue zurückzustoßen, machte mich wütend. Einige Male war man schließlich
und endlich doch zusammen im Bett gelandet und hatte dort Dinge getrieben, die
glücklicherweise nicht allzu detailliert geschildert wurden. Ich musste Adrian
Horstkotte im Stillen Abbitte tun, der die Situation vollkommen richtig
eingeschätzt hatte. Schließlich begann ich, um Jonas Jakobys Leben und
Gesundheit zu fürchten bei der Raserei, in die er sich

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