Die falsche Frau
Alkohol, sondern ein Erfrischungsgetränk«, dozierte
er würdig. »Und fünf Kisten gibt gerade mal ein Fläschchen pro Nase.«
»Wäre Rothaus okay?«
»Rothaus wäre super. Tannenzäpfle, wennâs geht. Und kalt, bitte.«
»Geht in Ordnung«, meinte ich seufzend. »Ich bringe es gleich
vorbei.«
Zum Glück fuhr ich einen groÃen Kombi. Die nächsten anderthalb
Stunden verbrachte ich damit, an einer groÃen Tankstelle Bier zu organisieren,
das halsabschneiderisch teuer war, was jedoch zum Glück das Problem einer
gewissen Frau Liebekind sein würde. AnschlieÃend kutschierte ich die Kisten
nach Mannheim und verfuhr mich dort dreimal, bis ich endlich diese verfluchte
Kaserne gefunden hatte, nur um dort zu erfahren, dass die Handtasche nicht
aufgetaucht war.
Im Kasernengebäude herrschte eine miefige Mischung aus Langeweile
und Aggression. Das Bier wurde dankend entgegengenommen, und man gab mir den
Tipp mit auf den Weg, es doch bei einer anderen Einheit zu versuchen, mit der
man sozusagen Ãrmel an Ãrmel gekämpft hatte. Diese andere Einheit kam aus
Ostfriesland, war in Bad Rappenau stationiert, und ich begann zu fürchten, dass
mich mein nächstes inoffizielles Amtshilfeersuchen zehn Flaschen Korn kosten
würde.
Zum zweiten Mal an diesem Sonntag telefonierte ich mit Gott und der
Welt, wobei meine Laune nicht besser wurde. SchlieÃlich beschloss ich, nach Bad
Rappenau zu fahren, um mein peinliches Anliegen an Ort und Stelle loszuwerden.
Während der Fahrt â inzwischen war ich nur noch wütend, hatte gerade
das Walldorfer Kreuz hinter mir gelassen und verlangte meinem alten Peugeot
alles ab, was er noch hergab â erreichte mich eine launige SMS von meiner
kriegsversehrten Göttin. Es ging ihr schon viel besser, las ich beim Fahren mit
einem Auge, und die vermisste Handtasche war noch am vergangenen Abend
wohlbehalten wieder aufgetaucht. Theresas Kampfgefährtin Corinna hatte sie dem
Polizisten im Handgemenge geistesgegenwärtig entrissen und war damit im
Getümmel untergetaucht. Auf meine Frage, weshalb um Himmels willen ich das erst
jetzt erfuhr, erntete ich mildes Unverständnis. So wendete ich an der Ausfahrt
Wiesloch-Rauenberg und war entschlossen, den Nächsten, der mir über den Weg
lief, zu erwürgen.
Der Anruf von Gudrun Linhardt erreichte mich, als ich eben
das Heidelberger Ortsschild passierte.
»Die ganze Wohnung habe ich auf den Kopf gestellt«, erklärte sie
frustriert. »Unter die Matratzen habe ich geguckt und hinter jeden Schrank.
Sogar auf dem Speicher bin ich gewesen. An der Stelle, von wo Jonas aufs Dach
gestiegen ist. Aber nichts â¦Â«
»Dann muss wohl jemand anderes das Tagebuch an sich genommen haben.«
»Wozu?«
»Damit es nicht in falsche Hände kommt, vielleicht?«
»Ich habe alle gefragt«, erwiderte sie nach einer Pause. »Und ich
glaube nicht, dass jemand gelogen hat. Es kann nur in seinem Rucksack sein.«
»Ich bin noch mal die Liste der Dinge durchgegangen, die drin waren.
Von einem Tagebuch stand da nichts.«
Während ich in die Stadt hineinfuhr, rief ich mir die Ereignisse
noch einmal ins Gedächtnis. Auf dem Dach hatte Jakoby den Rucksack noch bei
sich gehabt. Als er abrutschte, hatte er ihn losgelassen, um die Hände frei zu
haben. Ich erinnerte mich daran, wie der Rucksack Sekundenbruchteile nach seinem
Besitzer und einige Meter entfernt am Boden aufgeschlagen war.
Die Polizeidirektion kam in Sicht. Der Parkplatz für Einsatzfahrzeuge
war hoffnungslos überfüllt, sodass ich meinen Wagen schlieÃlich in einer
SeitenstraÃe im Halteverbot abstellen musste. Es war kühl geworden. Herbstlich.
Ein frischer Wind ging, und es roch nach Neckarwasser.
Wenn YouTube den Gegnern der Polizei Argumente lieferte, überlegte
ich auf dem Weg zu meinem Schreibtisch, warum sollte es nicht auch einmal auf
unserer Seite sein?
Minuten später konnte ich Jonas Jakobys Todessturz ein zweites Mal
beobachten. Offenbar gab es kein Unglück mehr auf dieser Welt, das nicht
mithilfe von Handycams für die Ewigkeit festgehalten wurde. Das kleine Video
hatte jemand aus einem der gegenüberliegenden Häuser aufgenommen. Leider war es
verwackelt und ziemlich unscharf. Dennoch genügte es, um zu erkennen, dass der
Rucksack, bevor er zu Boden fiel, auf der Türkante eines weiÃen Cabrios
aufschlug.
Der Besitzer dieses
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