Die falsche Frau
»Dann hätte Jonas also seinen Peter mit Judith zusammen gesehen?«
»Es ist bisher nur eine Idee. Aber es ist eine Idee, die eine
halbwegs plausible Erklärung liefert für alles, was später passiert ist.«
»Hat Jonas denn nichts dazu in sein Tagebuch geschrieben?«
»Ein Tagebuch?« Ich fuhr hoch. »Ich weià nichts von einem Tagebuch.«
Sie sprach jetzt so leise, als würde sie mir ein Geheimnis verraten:
»Ganz romantisch, in ein dickes Buch. Jeden Abend hat er davor gesessen, egal,
wie spät es war. Dieses Buch war sein Heiligtum. Niemand durfte es auch nur
anfassen. Es war immer in seinem Rucksack, und den hat er nie aus den Augen
gelassen, nie. Sogar auf die Toilette hat er den mitgenommen.«
»Wenn es im Rucksack gewesen wäre, dann hätten wir es gefunden.
Könnte es noch in Ihrer Wohnung sein?«
Sie sah auf die Männerarmbanduhr, die sie am rechten Handgelenk
trug. »Ich habe hier noch zwei Stunden zu tun. Sobald ich zu Hause bin, werde
ich danach suchen.«
42
Meine erste Amtshandlung am Sonntagmorgen war ein weiterer
Anruf bei der Staatsanwaltschaft.
»Liebekind?«, fragte die junge Staatsanwältin, die das Pech hatte,
Dienst zu haben. »Wie unser Herr Polizeidirektor?«
»Komische Zufälle gibtâs, nicht wahr?«
Ich hörte sie einige Sekunden energisch auf ihrer Tastatur herumhacken.
»Also, ich hab hier nichts.«
Theresas Handtasche musste sich aus irgendwelchen Gründen immer noch
im Besitz der Polizei befinden. Vermutlich hatte es gestern so viele Anzeigen
und Haftanträge gegeben, dass Theresa einfach noch nicht an der Reihe war.
Inzwischen hatte ich in Erfahrung gebracht, welche Einheit im betreffenden
Abschnitt gestanden hatte, und bald kannte ich auch Namen und Dienstrang des
Mannes, der die Hundertschaft geführt hatte: Jürgen Karlstadt, Erster
Hauptkommissar. Seine Einheit kam aus Koblenz und hatte in einer ehemaligen
Bundeswehrkaserne im Osten Mannheims Quartier bezogen. Karlstadt sprach mit
ausgeprägtem rheinischem Akzent, seine Vorfahren stammten jedoch aus Weiden in
der Oberpfalz, wie er mir ungefragt und sehr ausführlich erzählte. Und er war
alles andere als erfreut über den Umstand, dass er das Wochenende in der
schönen Kurpfalz verbringen musste, während seine Frau wütend zu Hause saà und
der Geburtstag seiner zweitältesten Tochter wieder einmal ohne den Vater
gefeiert werden musste. Ich erklärte ihm mein Anliegen.
»HeiÃt das, Sie verdächtigen meine Leute des Handtaschendiebstahls,
oder wie muss ich das verstehen?«
»Natürlich nicht. Ich weià doch, wie es bei solchen Gelegenheiten
zugeht. Da wird schon mal was vergessen, in der Aufregung.«
»Bei mir wird nichts vergessen!«, empörte er sich. »Wenn es zu
Tätlichkeiten seitens der Rabauken kommt, dann haben meine Leute Weisung,
Anzeige zu erstatten. Falls es gelingt, die Personalien festzustellen,
natürlich.«
»Es geht um eine Frau Liebekind.«
»Und was hat diese Frau Liebekind angestellt?«
Ich schilderte den Vorfall, wobei ich alles natürlich ein wenig
harmloser darstellte, als es in Wirklichkeit abgelaufen war.
»Von mir aus«, brummte er anschlieÃend. »Werd mal rumhorchen, ob wer
eine Handtasche sichergestellt hat. Aber damit das klar ist: Hier klaut keiner!
Ich lege für jeden Einzelnen meiner Leute beide Hände ins Feuer. Kommt das in
die Zeitung? Sind wir jetzt wieder mal die Bösen?«
»Aber nein. Darum geht es doch gar nicht.«
»Warum machen Sie dann so einen Terz um das Ding? Soll die Dame sich
doch selber um ihren Krempel kümmern.«
»Falls Sie die Tasche doch noch finden, wären Sie so freundlich, mir
Bescheid zu geben?«
»Warum? Haben Sie persönlich mit der Frau zu tun?«
»Sie ist eine Bekannte. Und sie hat eine kleine Dummheit gemacht,
und es tut ihr sehr leid und â¦Â«
»Und jetzt möchte Ihre Bekannte ungeschoren aus ihrer kleinen
Dummheit wieder rauskommen, was?«
»Ungefähr so, ja.«
»Das wird aber eine Kleinigkeit kosten.«
Diesen Ton kannte ich. »Zwei Kästen?«
»Hier unten bei euch im Süden ist die Luft verdammt trocken.«
»Drei? Sie wissen, wie furchtbar schlecht wir Polizisten bezahlt
werden.«
»Unter fünf läuft gar nichts.«
»Gilt für Ihre Leute nicht striktes Alkoholverbot?«
»Bier ist kein
Weitere Kostenlose Bücher