Die falsche Frau
sicher?«
»Selbstverständlich bin ich mir sicher!«, fuhr er mich an. »Ich habe
in meinem Beruf täglich mit zahllosen Menschen zu tun. Ich habe das jahrelang
trainiert, mir Gesichter und Namen einzuprägen, Herr ⦠ähm â¦Â«
»Gerlach.«
»Gerlach, ja. Und es wäre fein, wenn ich dann wieder gehen dürfte.«
Es gibt in Nordbaden nicht allzu viele Menschen, die in
ausgemusterten Polizeifahrzeugen herumfahren. Zweieinhalb Stunden später hatten
wir die erste Spur, die diesen Namen verdiente. Jürgen Prochnik hatte vor fünf
Jahren einen Mercedes-Siebensitzer von der Rastatter Polizei ersteigert, der
damals schon anderthalb Jahrzehnte auf dem rostigen Buckel hatte, für
neunhundertachtzig Euro. Der Wagen hatte über dreihundertfünfzigtausend
Kilometer auf dem Tacho gehabt, war jedoch trotz einiger Lackschäden und Beulen
noch fahrbereit gewesen. Der Tote hatte zu Lebzeiten ein geräumiges
Einfamilienhaus im Süden Rastatts bewohnt, nur etwa dreiÃig Kilometer von der
Stelle entfernt, wo die verregnete Sitzblockade stattgefunden hatte. Auf meine
Bitte hin schickte der Leiter vom Dienst der Rastatter Polizeidirektion eine
Streife zu dem Haus.
Die Kollegen, die in ihrem Streifenwagen zufällig in der Nähe der
angegebenen Adresse herumgekurvt waren, meldeten sich bereits wenige Minuten
später. Das Haus stehe seit Längerem leer, wurde mir berichtet. Die Nachbarn
hatten den Bewohner seit Wochen nicht mehr gesehen, der es â abgesehen von
seinen vier oder fünf Katzen â allein bewohnte. Der Verschwundene war fünfundfünfzig
Jahre alt und hatte sein Einkommen bis vor wenigen Jahren als selbstständiger
Immobilienmakler verdient. Seither war er Privatier und radikaler
Umweltaktivist. Bei den Nachbarn war er nicht übermäÃig beliebt, galt als
Eigenbrötler und arrogant. Für die Rastatter Kollegen war er kein Unbekannter.
»Der schreibt Briefe wegen jedem neuen Verkehrszeichen«, erzählte
der behäbige Polizeiobermeister, mit dem ich telefonierte. »Der ist gegen Autos
und gegen den Ausbau der Eisenbahn und gegen den Flughafen Söllingen sowieso.
Aber mit einer alten Kiste durch die Gegend gurken, die garantiert ihre zwanzig
Liter auf hundert Kilometer säuft, und mutterseelenallein in einem Haus mit
acht Zimmern wohnen, das sind mir die Richtigen. Aber natürlich Solar auf dem
Dach und tonnenweise Brennholz vor dem Haus.«
Noch während er sprach, tippte ich versuchsweise den Namen Jürgen
Prochnik in die Suchmaske des BKA. »Keine Einträge«, las ich.
»Und jetzt ist der also tot?«, wollte der Polizeiobermeister wissen.
»Es spricht einiges dafür.«
»Den wird so schnell keiner vermissen.«
»Gibt es Verwandte? Freunde?«
»Moment.« Ich hörte einen kurzen Wortwechsel im Hintergrund. Die
Nachbarn standen vermutlich in Hörweite am Zaun. »Die Leute wissen praktisch
nichts über ihn. Besuch hat er selten gekriegt. Und geredet hat er auch kaum
was. Er sei ein schräger Vogel, mit dem keiner was zu tun haben wollte.«
Das geräumige Haus, das früher einmal ein Schmuckstück gewesen
sein musste, lag am südlichen Ortsrand von Rastatt. Dahinter erstreckten sich
weite Felder, die gröÃtenteils bereits abgeerntet waren. In der Ferne sah ich
einen Traktor seine einsamen Bahnen ziehen. Heute wirkte das Haus
vernachlässigt, traurig und ungeliebt, obwohl es offensichtlich vor nicht allzu
langer Zeit einen neuen sonnengelben Anstrich erhalten hatte. Das Grundstück
war weitläufig, wegen der vielen Bäume und Büsche unübersichtlich und auf
freudlose Weise verwildert. Neben dem Haus waren groÃe Beete angelegt, auf
denen Gemüse wuchs. Stangenbohnen entdeckte ich, Kartoffeln, Rosenkohl. Am
jenseitigen Ende des Gartens schimmerte ein vermutlich künstlich angelegter
Weiher, auf dem zwei Enten geruhsam nach Futter gründelten. Dahinter ein hoher
Zaun, der neu zu sein schien. Evalina Krauss, die mich begleitete, streckte und
reckte sich und sog die kühle Luft gierig ein. Wir waren über eine Stunde
gefahren. Der Wind fuhr durch die Bäume, dass sie knarrten und knackten.
Eine junge, spargelige Frau in der roten Uniform eines Schlüsseldienstes
und die Rastatter Kollegen, die sie auf mein Bitten hin bestellt hatten,
erwarteten uns schon ungeduldig.
Im Gänsemarsch durchquerten wir den vorderen, kürzeren Teil
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