Die falsche Frau
Verkauf der Wohnungen, die die Firma gebaut
hat. Dann sind die Eltern kurz nacheinander gestorben, und ungefähr zur selben
Zeit ist zum ersten Mal eine Frau in seinem Leben aufgetaucht. Ein halbes Jahr
nach dem Tod seiner Eltern hat Prochnik das Elternhaus mit Seeblick für einen
guten Preis verkauft, ist nach Rastatt gezogen und hat sein Maklerbüro
aufgemacht. Das war fünfundachtzig.«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte ich. »Wir sind drei Stunden
weg gewesen �«
»Nachbarn.« Balke grinste geschmeichelt, während Krauss sich
konzentriert Notizen machte.
Meine Bürogenossin war schon wieder unterwegs. Vermutlich, um noch
mehr senile Lehrer zu interviewen.
»Nachbarn mit scharfen Augen und gutem Gedächtnis. Die beiden alten
Leutchen haben Prochnik schon als Baby gekannt.«
Ich schnäuzte mich. Meine Augen brannten, mein Kopf brummte. Der
Schnupfen war während der Rückfahrt wieder stärker geworden und schien allmählich
seinem Höhepunkt entgegenzustreben.
»Sie sagten, er hätte eine Frau kennengelernt â¦Â«
»Rothaarig soll sie gewesen sein. Mit langen, glatten Haaren bis zum
Gürtel. Ein bisschen zu dürr, hat der Nachbar gemeint, aber sonst ganz hübsch.
Prochnik hat sie übrigens erst mit nach Hause gebracht, nachdem die Eltern tot
waren. Wie lang die Geschichte schon lief, kann ich deshalb nicht sagen. Die
Eltern waren streng katholisch.«
Auch die Eltern von Judith Landers waren religiös gewesen, fiel mir
ein. Und stammte Gudrun Ensslin nicht aus einer schwäbischen Pfarrersfamilie?
»Sehen Sie eine Chance, diese rothaarige Frau zu identifizieren?«
Balke zog den Mund schief. »Dürfte schwierig werden, nach dreiÃig
Jahren. Die kann inzwischen kugelrund sein und acht Enkelkinder haben. Einen
winzigen Hinweis habe ich aber doch: Sie ist immer mit einem kleinen,
knallroten Auto gekommen. Die Nummer sei nicht aus der Gegend gewesen, sagen
die Nachbarn.«
Theresa war am Abend zuvor im Theater gewesen. In einem Musical.
In Stuttgart. Zusammen mit einer Nachbarin, die fast schon eine Freundin war
und ihr die Karten zum Geburtstag geschenkt hatte. Evita. Wunderbar sei es
gewesen, erfuhr ich zwischen den ersten, aufgeregten Küssen, phänomenal,
umwerfend, überwältigend, grandios. Meine Göttin war immer noch völlig aus dem
Häuschen. Und sie schwor, seit einer Woche keine Zigarette mehr angerührt zu
haben.
Ich war todmüde und verschnupft. Unser Abend begann mit einem
ausführlichen Bericht von Theresas aufregendem Kulturerlebnis und endete zwei
Stunden später im Streit. Unvorsichtigerweise erwähnte ich irgendwann den Namen
Ron Henderson.
»Der Mann ist ein Verbrecher«, erklärte Theresa mit plötzlicher
Kälte. »Ich würde ihm keine Träne nachweinen, sollte jemand ⦠Ich könnte dir
ein paar Details â¦Â«
»Vielen Dank. Meine Töchter gehen mir schon genug auf die Nerven mit
dem Thema. Theresa, mein Job ist es, die Leute zu unterstützen, die für seine
Sicherheit verantwortlich sind. Mein Job ist nicht, ihn nett zu finden.«
»Fühlt man sich nicht ein klein wenig doof dabei, das Leben eines
solchen Mistkerls zu beschützen?«, fragte meine Liebste mit rauflustigem Blick.
»Ich fühle mich bei meiner Arbeit häufiger doof, als mir lieb ist«,
versetzte ich ärgerlicher, als ich beabsichtigt hatte.
»Du weichst aus.«
»Das tue ich überhaupt nicht!«, fuhr ich sie an. »Ich habe nur keine
Lust, mir den Abend zu verderben, indem ich mit dir über irgendwelche
amerikanischen Politiker herumstreite.«
»Ich spreche nicht von Politik. Ich spreche von einem Menschen, der
nach den Gesetzen der meisten Länder dieser Erde hinter schwedische Gardinen
gehört. Oder noch besser an die Wand.«
»Theresa, also bitte! Du redest wirklich, als würdest du Beifall
klatschen, wenn jemand ihn in die Luft sprengen würde.«
»Mich macht das wütend, verstehst du?«, versetzte sie. »Es scheint
bei deinem Herrn Henderson nicht anders zu sein als bei Berlusconi: Er ist in
die Politik gegangen, um der Justiz von der Schippe zu springen. In den Staaten
drüben mussten vier Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt werden, als er
praktisch über Nacht Minister wurde.«
»Erstens ist er nicht mein Herr Henderson«, stöhnte ich und
versuchte, mich zu entspannen. »Und
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