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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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nach der letzten Mode aus Paris gekleidet. Ihr Rock fällt ihr über die Schuhe, sein Saum wischt die Straßen.
    Die Dame rauscht dahin. Die Muota. Ein Parasol dreht sich über ihrer Turmfrisur im Kreis. Es heißt, die Dame sei eine Bewunderin von Gärten, herrschaftlichen Häusern und nutzlosen Gegenständen. Sie admiriere die Kunst über alles. Sie examiniere die Gemälde von ihrem Landsmann, dem Kunstmaler Jost Rudolf Auf der Maur. Ihre Komplimente zeugen von Kennerschaft, wie sie nur wenige kultivierte Menschen im Lauf der Jahre erwerben. Und wohl auch nur, wenn sie mit Kunst aufgewachsen sind.
    Nach diesem Rundgang wird die Dame nicht mehr gesehen. Sie verschwand. Mit ihr einige Gemälde.
    Im Winter wird sie in Bern verhaftet. Aufgegriffen in einem Garten, der im verkleinerten Maßstab jenem von Versailles gleicht. Die Anlage ist der Stolz des Besitzers, der Traum aller Gärtner, ein Sinnbild von Überfluss, Prunk und Macht. Und da liegt diese Streunerin aus Schwyz schlafend im makellosen Blumenschaum eines Ornaments.
    Das Gesetz setzt solchem Tun Schranken. Man nimmt der Bitzenin die Robe ab, die sie im Ranzli verwahrt hat. Die Gemälde können dem Bestohlenen zurückgegeben werden. Geld findet man keins, nicht eine Kupfermünze.
    Der Schultheiß und der Rat der Stadt setzen am 11. Januar 1724 «die guoten Fründe und getreuwen, lieben, alten Eydtgenossen in Schwyz in Kenntnis von den Taten ihrer entlaufenen Bürgerin».
    Die Delinquentin wird unverzüglich nach Schwyz verfrachtet. Begleitet von der schriftlichen Bitte, «der Allerhöchste möge in diesem neuw angetrettenen Jahr auch unsere getreuwen, lieben, alten Eydtgenossen, mit Wohlsyn beseelige und under seinem Machtschirm gnädigst zuo erhalten geruhwe».
     
     
    Den Wäscherinnen von Joannes Bossert kommt zu Ohren, welch große Reise die Kleine unternahm. Und wie zäh sie sich durchgeschlagen.
    Einen Garten sucht sie? All die Gefahren und Strapazen wegen eines Kabisplätz und einiger Blümchen?
    Sie seufzen in ihre Bottiche hinein. Die Kleine war ja nie zu verstehen. Ihre Träume. Ihre Hirngespinste.
    «Die Sterne lügen. Sie versprechen uns einen Glanz, den es auf der Erde nicht gibt.
    Was ist unser Leben? Einzwei gottgegebene Augenblicke. Und der langelange Rest?»
    Man habe es Anna Maria gesagt. Sie habe nicht hören wollen. Die Obrigkeit hat sie nun im Schandkarren zurückgeholt.
    Die Fülle der Blumen den anderen. So sei das. Wie ein Gesetz sei das.
     
     
    Anna Maria, die Bitzenin Genannte, steht erneut vor dem gesessenen Landrat. Sie trägt wieder den ordinäri Wollhut und ihr Schnürmieder über den Lumpen. Ist durchgeschüttelt vom Karren, auf den man sie gefesselt und auf dem man sie ohne eine Unterbrechung nach Schwyz gebracht hat.
    Richter Reding ist anwesend, mitsamt seiner Tabatière. Die Gefangene wird vor sein Pult bugsiert. Das Mädchen mit der Haut aus Milch. Es schaukelt die Lumpen ein wenig, bereit zum Sprung aus der Tür. Ein Landjäger steht spreizbeinig davor. Der Ruf dieser Verworfenen ist bekannt. Die Bitzenin kennt keine Treue, und ihr Schwur gilt nichts. Sie verschwindet rascher, als Kanzlisten und Landjäger sich umschauen können. Man öffnet einen Spaltbreit das Fenster, und der Vogel fliegt aus.
    Der Richter breitet die Arme über den Tisch. «Du hast dich als meine Tochter ausgegeben?»
    Das Mädchen streicht sich eine Locke aus der Stirn.
    «Kannst du Satisfaktion anbieten?»
    Es lächelt.
    «Wir wollen hoffen», sagt Reding, «dass du einen triftigen Grund für diese Reise in lutherische Lande hattest. Warst du im Dienst?»
    Sie schließt die Augen und schüttelt das Haar. «Nein.»
    Auf Wink verliest der Schreiber die Klage. Delinquentin werden Diebstähle vorgeworfen. Mit Geschick öffnet sie jedes Riegelsperrwerk. Findet das einzige lose Brett am Schweinekoben, melkt die Geißen in ihren Hut hinein. Sie ist die Freundin jeder Henne. Nimmt da eine Speckseite, dort ein Brot. Gibt sich heute als diese und morgen als jene aus. Ist darin äußerst geschickt. Macht gute Miene, während sie anderen die größte Beleidigung der Welt präpariert. Nimmt hier ein Kleid von der Wäschehänge, fischt dort einen Gegenstand von der Kommode. Sie ist das flinke Ärgernis aus Schwyz. Klagen von da. Klagen von dort. Wo sie auftaucht, bringt sie das Land in Verruf.
    Die Bitzenin sagt nur: «Jesses!» Oder: «Ohä!» Oder sie zuckt die Schultern und schlägt die Hände vor den Mund.
    Der Richter unterbricht mit einem Wink die

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