Die falsche Herrin
Waschfrauen, weil man nichts mehr von ihm hört.
«Es denkt: ‹Da bin ich. Und da bleibe ich.›»
«Die Bitzenin öffnet Türen, die uns verschlossen bleiben.»
Eine der Waschfrauen meint: «Es muss der Kleinen leicht fallen, Einlass in ein Schloss zu erhalten. Wir haben beim Schrubben der Wäsche so viele Wünsche in den See gesenkt, dass sie den Fuß in ein kleines Paradies setzen muss. Die Tore öffnen sich, wie im Märchen. Und sie spaziert hinein. Sagt der Dienerschaft, sie wolle der Herrschaft die Honneurs machen.»
Bossert höhnt. «Ihre Honneurs will sie machen! Senkeln wird man sie! Zurückspedieren aus dem Welsch!» Aber in sein Haus komme sie ihm nicht.
«Es gibt nicht nur in Schwyz Kronleuchter, dessen Flammen sich im Luftzug leise bewegen. Nicht nur die Reding und die Bossert halten Silber in den Händen und führen ein Kristallglas zum Mund. Es ist jetzt überall Mode. Es ist die Lebensart der Patrizier. Und bald gehört eine der Unseren auch dazu.»
Waschfrauen schauen über den See, wenn sie etwas Glanz sehen wollen. Der Mond streut eine Handvoll Silber vor sie hin. Und die Wellen lassen es rieseln.
«Wir beklagen uns nicht. Es ist ein Wunder. Aber die Vorstellung, dass man einer von uns ein unbezahlbares Gedeck vorlegt, ist zum Weinen schön. Die Bitzenin hat noch nie mit Gabel und Messer hantiert, nie aus einem Glaskelch getrunken. Wenn Joannes Bossert ihr Speise und Tranksame versprach, schenkte er ihr einen Traum, damit sie weiter schrubbe in der Kälte. Bis heute bestanden die Dîners der Kleinen aus nichts weiter als Luft.»
«Gott! Wie muss die Bitzenin sich dort im Welschen zusammenreißen, um nicht sofort den Teller leer zu schaufeln und ihn dann genüsslich abzulecken. Hat sich ihr Lebtag lang noch nie nachschöpfen und nachschenken lassen können.»
Die Redingin blüht auf. Ganz Schwyz kann es sehen. Federt zur Pfarrkirche hinab, den Kopf in den Wolken. Wartet geduldig, dass die Leute zur Seite weichen, um ihr den Vortritt zu lassen. Schwebt vorüber mit einem entrückten Lächeln um den Mund. Durchträumt die Messe, steht auf, setzt sich, bekreuzigt sich, neigt den Kopf zum Empfang des Segens, weit fort in Gedanken. Und danach schwebt sie durch den Mittelgang und rauscht zum Herrenhaus zurück.
Der Galan beschäftigt die Gemüter. Ein Mann, der ihr den Halsmantel abnimmt und beim Einsteigen in die Chaise hilft.
Wer ist dieser Mensch? Er hält sich schon seit Tagen in Schwyz auf. Steigt zuweilen ein Stück Richtung Mythen hoch. Betrachtet den Talkessel, das Geglitzer des Vierwaldstättersees und die steil aus dem Wasser aufsteigenden Berge mit den Schneeflecken. Er interessiert sich für Land und Leute, heißt es. Seine Forschungen gelten Joseph Anton Reding, dem höchsten Herrn des Landes. Vor allem aber dessen noch lediger Tochter.
Er muss von feinstem Geblüt sein, wie die Redingin mit ihm verkehrt. Vielleicht ein Gesandter des Papstes oder des Kaisers von China. Wenn nicht gar von beiden.
«Einer von Rang», versichert Redings Knecht einem jeden, der ihn fragt. Die Gouvernante habe ihm erzählt, der Besucher sei Träger der Zweiäugigen Pfauenfeder des chinesischen Kaiserhofs. Diese Auszeichnung bekommen nur hohe Würdenträger.
«Sein Name?»
«Er hat keinen Namen. Eine Persönlichkeit wie er braucht keinen Namen.»
Man nennt ihn den Chinareisenden. Den Gelehrten. Er muss eine Schrift nur zweimal durchlesen, und schon kennt er sie auswendig. Da er im Gasthaus logiert und pünktlich bezahlt, muss er immens reich sein. Sein Ruhm strahlt über ganz Asien.
Die Patrizierfamilien von Schwyz schicken dem Chinareisenden Einladungen. Da er ohne Gattin unterwegs ist, überlegen sie sich, kann es nicht schaden, wenn ihre Töchter seine Bekanntschaft machen. Die Redingin lässt ihn schließlich schon in ihren Garten, zeigt sich interessiert an den Neuigkeiten aus einer anderen Welt.
Sebel erzählt, dass die beiden zum Pavillon spazieren.
«Ihre Hand liegt auf seinem Arm, ihr Parasol dreht sich wild über dem Kopf. Und die Augen der jungen Frau glänzen. Halbe Nachmittage sitzen die beiden unter dem Geriesel der Glyzinientrauben. Sie redet viel, fragt viel und schaut ihn aufmerksam an. Wie in Erwartung der paradiesischen Glückseligkeit. Sie öffnet und schließt immer wieder den Parasol.»
«Was will sie hören?»
Sebel weiß es nicht. So wenig wie er weiß, warum ein Gelehrter am Mund der Redingin hängt. «Ihr Leben ist rasch erzählt. Sie stickt, betet,
Weitere Kostenlose Bücher