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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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unseres Königs. Sie erzählt wenig. So sind die Leute in den Waldstätten. Die Eidgenossen sind zugeknöpft.
    Ihr Anblick ist umso beredter: eine vornehme Dame in Lumpen. Eine junge Unglückliche. Die letzte noch unverheiratete Tochter des Hauses Reding. Sie ist für ein Leben im Kloster bestimmt, falls sich nicht noch ein Freier zeigt, dessen Rang ihre Familie als ebenbürtig erachtet.
    «Das Mädchen muss einer Klosterschule entflohen sein», meint der Hauslehrer.
    Die mitfühlende Herrschaft kann die Verzweiflung der Unglückseligen nachvollziehen. Dass sie ausreißt, Hals über Kopf, und sich auf eine so lange und gefahrvolle Reise begibt, ohne Papiere, ohne Kutsche. Ohne Bedienstete und ohne Gepäck.
    «Ich will nicht geistlich werden», sagt sie.
    Sie reißt es aus sich heraus: «Geistlich werden.» Trotzig wirft sie ihr Haar in den Nacken und feuert Blitze aus den Augen.
    Sieur schaut sie sich an, diese Eidgenossin, die da im Salon bleu seines südwestfranzösischen Schlosses ihre Lumpen schaukelt und auf Wirkung wartet.
    Die Hände im Rücken verschlungen, umkreist er sie. Und nickt.
    «Dieses Mädchen ist für ein weltliches Leben bestimmt.»
    Madame meint, dass die Maman auf dem Medaillon in Ohnmacht fiele, sähe sie ihre Tochter in Lumpen. Vom Herrn Papa nicht zu reden! «Sie hat Anrecht auf unsere Behandlung, die ihrem Stand gebührt. Ihre Erscheinung muss dem gesellschaftlichen Rang entsprechen. Ihr muss geholfen werden!»
    Die Bitzenin legt ihre Lumpen, den Wollhut und das Ranzli ab. Sie nimmt den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einer Selbstverständlichkeit, die nur von Gott gegeben wird, kommandiert und tribuliert sie die Couturière, die Gantiers, die Hutmacherinnen und Schuster. Dies und das ist ihr nicht recht, dieses und jenes Kinkerlitzchen muss her, und die Änderung muss ohne Verzug vorgenommen werden. Es muss genau an dieser und an jener Stelle sitzen.
    «Ihre Commandes fliegen den Artisans nur so um die Ohren», sagt die Dame des Hauses. «Als habe dieses Töchterchen keine Minute zu verlieren, als befürchte es, am nächsten Tag schon sterben zu müssen. Es ordert allerdings so viele Kleider, Schuhpaare und Putz, als ob es ewig lebe.» Aber sie hat Verständnis. Schließlich erzieht sie selber Töchter und hält auf standesgemäße Garderobe.
    Sieur interessiert der Putz der Frauen wenig. Die Rechnungen spießt er auf einen Nagel und lässt die Frauen unter sich. Er liebt es, im Galopp neben seinem Lipizaner herzurennen, mit einem Satz auf den Rücken zu springen und durch die Weinberge zu reiten.
     
     
    Niemand setzt der Bitzenin im Südwesten Schranken. Im neuen Kleid fegt sie durch den Wandelgang, fliegt über die Terrassen, ein schwingendes, klingendes, perlenbesetztes Beutelchen am Arm.
    Sie lernt schnell.
    Zu ihrer Bedienung braucht es eine Zofe. Die schnürt die Bitzenin in ein von Stäben gespicktes Corsett, während sie den Fuß gegen die Bettstatt stemmt. Es braucht einen Frisör, der die Türme und Kaskaden ihrer Locken zwirbelt. Mit der Fingerspitze tupft sie Rosenwasser auf die Ohrläppchen und an den Hals. Sie streift weiße Strümpfe über die von Dornen zerkratzten Beine. Ein besticktes Band hält jeden Strumpf auf dem Schenkel fest. Ihre weichen Schuhe sind von Blumen und Laubwerk durchwirkt, die zum Strumpfband passen. Ihr Hut ist mit Bändern umwickelt, die sich zu einem spitzen Turm erheben. Über die Frostbeulen streift sie Handschuhe mit goldenen Fransen.
    In dieser Aufmachung erscheint sie nun jeden Morgen in der Hauskapelle. Geräuschvoll werfen die Spitzen ihrer Stickpantoletten den Rock hoch. Dann schlingert sie über die Fliesen wie das Wasser der heimischen Muota. Ein Duft nach Rosen breitet sich aus.
     
     
    «So ist das Leben, wenn Gott es segnet. Schön ist das Leben, wenn er einmal seinen Blick auf eine Niedere richtet.»
    «Sie wird ihre Waschfrauenhände verstecken. Aber sie denkt an uns, dort in der Schlosskappelle, den Mund auf ihren aneinandergelegten Fingerspitzen, versunken in Reglosigkeit. An uns, Joannes’ Kaulquappen. Wie wir im Dampf einer Waschküche unsere Jugend verkochen, unsere Träume, unsere Hoffnung auf ein wenig Freude. Während sie in einen anderen Stand aufgebrochen ist, wo man sich den Chriesibrägel ums Maul streicht. Sie nestelt die Schnur ihres Beutelchens auf und führt ihr Fazolet an die Augen.»
    «Die denkt nur an sich!» Er kennt sein Mündel, das am liebsten wiehernd und spritzend in seinen Bottichen badete und mit einem

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