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Die falsche Herrin

Die falsche Herrin

Titel: Die falsche Herrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margrit Schriber
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durchwandert Dutzende von Zimmern, schaut durch Hunderte von Butzenscheiben.» Und weil ihr Tag aus Kleinigkeiten besteht und sie mit den Bediensteten nur das Notwendige und Nützliche bespricht, verirre sich die Redingin in Verästelungen.
    «Der Chinareisende ist ihr vom Himmel in den Garten gefallen. Er hört zu. Er schaut auf ihren plappernden Mund. Er wendet hin und her, was sie sagt. Da geschieht es, dass sie plötzlich taumelt. Mit einem spitzen kleinen Schrei fasst sie nach seinem Arm, im Vorfallen streift ihr Mund sein Ohr. Darauf neigt die Redingin sich rasch weg, um an einer Blüte zu riechen.»
    Obwohl Richter Reding ein vielbeschäftigter Mann ist und im Herrenhaus täglich Dutzende von Leute ein und aus gehen, registriert er die Besuche eines Fremden bei seiner Tochter. Er bemerkt ihre Zerstreutheit. Ihr Vor-sich-hin-Schauen mit einem einfältigen Lächeln im Gesicht. Ein Mensch, den er nicht eingeladen hat, macht seiner Tochter die Honneurs. Aber Reding ist klug genug, niemanden vor den Kopf zu stoßen, der dem Hof von China womöglich nützlich ist. Er zieht Erkundigungen ein. Wessen Sohn ist der Chinareisende? Hat er Herkunft und Stellung? Ist die Auszeichnung echt, oder schmückt er sich mit einer fremden Feder?
    Doch Reding erfährt über den Fremden nicht mehr als seine Marias, seine Sebels und die Leute im Dorf. Dieser Mensch hat dem Teufel die Seele verkauft, der hat ihm Kauderwelsch beigebracht und das Reisen auf fliegenden Besen. Von Tibet ist er nach Peking und von dort in einem Stück nach Schwyz geflogen, wo er den Redings vor die Tür geschneit ist. Dort hat er am Strang gezerrt, dass die Glocke fast aus der Halterung sprang.
    Aber wie kommt der Chinareisende auf den Namen von Anna Maria Inderbitzin? Er sucht doch wohl nicht die Bitzenin?
     
     
    Das flinke Ärgernis von Schwyz. Es steht derweil unter dem Schutz eines in ganz Europa klingenden Namens. Die Dienstboten umtänzeln es. In der Frühe des Morgens schlägt die Bitzenin ihre Augen auf, und Clémence steht am Bett. Mit gestärkter Schürze, dienstfertig, freundlich, ein schweres Tablett vor dem Bauch. Anna Maria ist noch im Nachtgewand, hat noch Flarz in den Augen, und schon wird ihr das Frühstück serviert. Sie, die sich ihr Lebtag lang in aller Herrgottsfrühe vom Strohsack erhob und mit knurrendem Magen Holz schleppte und Bottiche voll Wäsche aufsetzte, frühstückt jetzt im Bett. Mit einem Berg aus Kissen im Rücken. Es gibt fette Kuhmilch und Kaffee zur Milch, gibt Zucker am Haferbrei. Und statt Schwarzbrot liegt Semmelbrot auf dem Teller.
    Sie lässt sich noch einmal für ein halbes Stündchen in die Kissen zurücksinken.
    Die Seigneurie Montlau ist alter Familienbesitz. Sie gehört zum typischen Landadel. Der Besitz umfasst siebenunddreißig Morgen Reben, Wälder, eine Weinkellerei. Das Dorf Moulon gehört dazu. Die Bewohner arbeiten im Weinberg, in der Kellerei oder sind als Zofen, Köchin, Fuhrknecht im Château beschäftigt. Der Wohlstand hängt von einer guten Ernte ab, von mäßigem Regen, warmen Sommern, einer Reifezeit ohne Hagel, zur Beerenlese sollten die Weinberge möglichst trocken sein. Einmal im Jahr dürfen die Bewohner in den Wäldern auf die Wildschweinjagd.
    Die Würdenträger der Umgebung machen dem Schlossherrn ihre Honneurs. Der Besitzer ist Mitglied der Zollverwaltung am Hafen von Bordeaux, als Membre de la connetablie gehört er zum Parlament. Er lässt die Würdenträger und seine Winzer warten im Hof. Sein Stallknecht führt den Lipizaner namens Favory zum höchsten Punkt. Einige Minuten herrscht Stille. Dann erscheint im bodenlangen Talar aus Samt der Sieur von Montlau. Mit klappernden Stiefeln durchquert er gemessen den Hof, springt mit einem Satz auf den Lipizaner, breitet den schwarzen Samt um sein schneeweißes Pferd, verschränkt die Arme und empfängt die Honneurs.
    Anna Maria findet sich rasch zurecht. Sie hat auf ihrer Reise ein paar welsche Brocken aufgeschnappt. Sie wendet die von der Redingin abgekupferten Rituale an, sie hat sich gemerkt, was höflich und was schicklich ist. Sie ist ein Naturtalent, ihre Mimik ist beredt, ihre Gesten versteht auch ein Tauber. Es wird außerdem ein Hauslehrer bemüht, der einige Wörter der deutschen Sprache versteht. Er bekommt zwar nicht viel heraus, doch er vermag wenigstens den Gesang zu erklären. Sie reden so, diese Eidgenossen. Sie heben und senken jeden ihrer Sätze und machen karchelnde Laute in der Kehle. Das ist die Sprache der Söldner

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